Schreibabys - Tipps
von Katharina Wallner

Alle Babys schreien. das ist ihre natürliche Art, sich auszudrücken. doch manche bringen ihre Unzufriedenheit ungewöhnlich oft und lang zum Ausdruck. So treiben sie Eltern an die Belastungsgrenze.
Birgit lässt sich erschöpft aufs Sofa fallen und seufzt: "Unser kleiner Schreihals schreit oft stundenlang, er schläft nicht und lässt sich durch nichts beruhigen." Kein Wunder, wenn die frischgebackene Mutter nach Worten ringt. Sie versteht die Ausdrucksform ihres Babys nicht und sehnt sich nach einer Übersetzungshilfe. Bei ihrer Recherche nach möglichen Ursachen stolpert sie über eine Definition des vermeintlichen Problems: "Ein Baby gilt als Schreikind, wenn es drei Stunden an drei Tagen pro Woche über einen Zeitraum von drei Wochen schreit. Bingo! Das ist es wohl."
Schreiambulanz
Die Schreiambulanz – erste Adresse für dieses Thema – schickt Eltern natürlich auch nicht weg, wenn ihr Kind "nur" zweieinhalb Stunden Radau macht. Denn um professionelle Hilfe in Anspruch nehmen zu können, steht weniger die Erfüllung aller Kriterien im Vordergrund als vielmehr der individuelle Leidensdruck und die persönliche Belastbarkeit.
Zunächst sollten mithilfe einer Anamnese und der körperlichen Rundumuntersuchung des Kindes immer auch andere organische Gründe für die chronische Unzufriedenheit ausgeschlossen werden, beispielsweise:
- ein gastroösophagealer Reflux,
- eine Kuhmilchproteinallergie,
- Mittelohrentzündungen,
- Harnwegsinfekte
- oder eine atopische Dermatitis.
Bedürfnisse erkennen und reagieren
Was hinter der Diagnose "Schreibaby" steckt, zählt, wie auch Schlaf- und Fütterungsprobleme, zu den "Regulationsstörungen". Das sind normale Entwicklungsphänomene, die sie sich mit dem Reiferwerden des Kindes quasi auswachsen.
In den ersten drei Lebensmonaten gelten alle Säuglinge in ihrer Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen, als unreif. Diese frühkindliche Lebensphase erfordert aus diesem Grund von den Bezugspersonen viel Fürsorge und Einfühlungsvermögen. Je schneller Bedürfnisse erkannt werden und je besser vor zu vielen Eindrücken geschützt wird, umso weniger Krawall!
Erst nach und nach lernen Babys, sich selbst vor einem Zuviel an Reizen zu schützen. Idealerweise wenden sie ihren Blick ab, wenn sie müde werden, oder nuckeln zufrieden am Schnuller. Schreibabys sind jedoch auffallend empfänglich für visuelle Reize. Sie saugen mit weit aufgerissenen Augen ihre Umgebung auf, können den Blick kaum abwenden und lassen sich durch Ablenkung nur äußerst kurzfristig zufriedenstellen.
Wenn die Reizüberflutung sie dann überfordert, reagieren sie mit einem Schreikonzert, um ihren Stress wieder abzubauen. Für übermäßiges Schreien eines Säuglings gibt es, trotz jahrzehntelanger Forschungsbemühungen, keine andere eindeutig erklärbare Ursache. Es wird aber vermutet, dass Stress, Rauchen in der Schwangerschaft, Frühgeburt und längere Krankenhausaufenthalte die Selbstregulationskompetenz einschränken können. Bei den meisten Kindern ist der Spuk nach etwa vier bis sechs Monaten zum Glück vorbei. Dann ist fast jedes Kind reif genug, um mit den vielen Eindrücken besser umzugehen.
Tipps zum Einschlafen
Besonders herausfordernd sind bei Schreibabys die Einschlafsituationen. Um es zum Schlafen zu bringen, wird beherzt alles Denkbare und Undenkbare ausprobiert. Oft schlittern Eltern - mit den besten Absichten - gerade dadurch geradewegs in einen Teufelskreis. Denn je unruhiger das Baby wird, umso nervöser und aktiver werden seine Eltern. Bei jedem Ton des kleinen Schreihalses wird die Position optimiert. Dann wird gewippt, gewiegt, gestreichelt, und es werden ausgedehnte Fahrten mit dem Kinderwagen über Kopfsteinpflaster oder nächtliche Autofahrten unternommen. Das Kind wird oft regelrecht herumgewirbelt, obwohl es eigentlich zur Ruhe kommen sollte.
Natürlich gibt es auch Kinder, die kinästhetische Reize lieben. Damit diese möglichst monoton und ohne stressgeladene Emotion übertragen werden, bieten sich Federwiegen oder Stubenwagen an, die das Baby sanft in den Schlaf wiegen. Denn wenn es heißt, dass Ruhe durch Ruhe kommt, ist eher die innere Ruhe denn absolute Stille gemeint. Viele Kinder schlafen sogar besser, wenn es eine leichte Geräuschkulisse gibt - ebenfalls möglichst eintönig. Der Staubsauger oder "weißes Rauschen" (hierfür gibt es Tonaufnahmen, auch via App, "Sound-Maschinen" oder Kuscheltiere mit einem Schhhhhhhhh-Geräusch) machen also tatsächlich manchmal möglich, was das liebevoll gesungene Schlaflied von Mama oder Papa nicht schafft. Grotesk, aber oft hilfreich!
Eine entspannte Einschlafsituation ergibt sich mitunter durch eine liegende Stillposition, bei der man das Baby auf eine Decke legt. So wärmt es sein Plätzchen währenddessen mit seiner Körperwärme an, und wenn man es anschließend weglegen möchte, bleibt der kuschelwarme "Mikrokosmos" erhalten. Sensible Kinder sind nämlich sehr leicht irritierbar: Allein der "Touchdown" auf ein kühles Laken reicht aus, dass sie die Augen weit aufreißen und das Schreikonzert erneut beginnt. Das Einwickeln in eine Decke, wie eine Schmetterlingslarve, oder in einen eigens dafür gemachten Pucksack hat sich bei unruhigen Kindern ebenfalls bewährt. Die engen Begrenzungen dieser Wickeltechniken geben Halt und Sicherheit. Außerdem kann das Baby dann nicht länger herumrudern, sich ständig selbst berühren und am Einschlafen hindern.
Das Schlafen nicht hinauszögern
In diesem Zusammenhang muss auch mit dem großen Irrglauben aufgeräumt werden, dass das Baby tagsüber nicht zu lange schlafen sollte, um abends erschöpft einzuschlafen. Das Gegenteil ist der Fall: Ein übermüdetes und reizüberflutetes Kind findet viel schlechter in den Schlaf.
Vielmehr brauchen Eltern die Unterstützung durch ein helfendes Netzwerk und einen gut strukturierten Tagesablauf mit regelmäßigen Schlafphasen am Tag. Dennoch: Ein Schreibaby erfordert große Selbstkontrolle und stresst die coolsten Eltern. Schön und wichtig, dass sie gegenseitiges Verständnis aufbringen, wenn die Nerven mal wieder blank liegen, weil die ersten Monate mit ihrem kleinen Liebling wortwörtlich "zum Schreien" sind.
„Die kindliche Regulationsstörung, der elterliche Schlafentzug, das Gefühl von Hilflosigkeit und ein Leben, ganz anders als man es sich ausgemalt hatte, konzertieren fast jedes Schreikonzert. Das Baby reagiert auf diese Stimmung wie ein Seismograph und schlägt förmlich Alarm.“

Fühl dich umarmt! Beim Pucken wird das Baby fest in eine kuschelige Decke gewickelt.
Die Wickeltechnik ahmt die engen Grenzen in der Gebärmutter nach und das Baby erlebt ein Gefühl der Geborgenheit.
Schreiambulanzen
Autorin
Katharina Wallner ist frei praktizierende Hebamme, Pädagogin und unterrichtet an der Fachhochschule Campus Wien im Studiengang Hebammen. Sie begleitet Familien von der Schwangerschaft bis ins Kleinkindalter.