Alleinerziehende - In der Krise
von Marion Brugger

Jeden Euro zweimal umdrehen - Das Drama der Alleinerziehenden
Wie jede Krise trifft auch die aktuelle Corona-Krise jene am härtesten, die ohnehin schon kämpfen. Fehlende oder nur eingeschränkte Kinderbetreuung, teilweiser Ausfall der Unterhaltszahlungen oder sogar der Verlust des eigenen Jobs: die Lage ist prekär.
Romina T. kaut an ihren Fingernägeln. Eine nervöse Angewohnheit, die sie seit Kurzem hat und nicht loswird. Die junge Mutter ist alleinerziehend. "Allein": Das hat sich in ihrem Kopf eingebrannt und dreht ihr den Magen um. Bislang ist sie gut ohne den Kindesvater zurechtgekommen, der sie im siebenten Schwangerschaftsmonat sitzen ließ und die vergangenen viereinhalb Jahre lediglich durch seine Unterhaltszahlungen in ihrem Leben und jenem des gemeinsamen Sohnes präsent war. Corona hat viel verändert. Die ganze Welt steht still, nur bei Romina drehen sich die Sorgen und Ängste unaufhörlich im Kreis.
Alleingelassen
92 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen. Ihnen fällt die Doppelbelastung Kind und Job zu. Gleichzeitig verdienen Frauen im Schnitt um 19,3 Prozent weniger als Männer. Damit ist Österreich in Sachen Gender-Pay-Gap eines der traurigen Schlusslichter - der EU-Durchschnitt liegt bei 14,1 Prozent.
Die Pandemie setzt gerade alleinerziehenden Frauen zusätzlich zu, denn viele Kindesväter haben kurz- oder auch langfristig ihre Arbeit verloren. Kein Job: Das bedeutet gleichzeitig geringere Unterhaltszahlungen. "Lag die Armutsgefährdung vor Corona bei 44 Prozent, so ist sie durch die Corona-Krise auf 50 Prozent angestiegen. Das heißt, dass jede zweite (!) Alleinerzieherin armutsgefährdet ist", zeigt Mag.a Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser, auf.
Laut Statistik Austria sind Alleinerziehende überdurchschnittlich oft von Armut und Ausgrenzungsgefährdung betroffen. Staatliche Unterstützungen kommen verspätet an oder sind ohnehin nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. "Wir haben das Gefühl, vergessen worden zu sein. Wir wollen in unserer Erziehungsleistung wertgeschätzt werden", klagt Evelyn Martin, Vorsitzende der Österreichischen Plattform für Alleinerziehende.
Schwierige Lage
Die Lage ist ernst. "Ein Großteil der Anrufe bei der Frauenhelpline steht in Zusammenhang mit der aktuellen Obsorgeregelung und mit Besuchskontakten. Es gibt Väter, die drohen, die Kinder nicht mehr zurückzubringen, den Kindesunterhalt einzustellen oder zu reduzieren, weil sie arbeitslos oder in Kurzarbeit geschickt wurden. Viele Frauen haben sogar Angst, dass ihnen die Kinder weggenommen werden“, erzählt Rösslhumer aus ihrem beruflichen Alltag.
Davon, was hinter verschlossenen Türen geschieht, bekommt das Umfeld der Alleinerziehenden oft wenig mit. Viele leiden still und drehen jeden Euro zweimal um. Doch: Väter oder Mütter, die Unterhaltszahlungen verweigern, machen sich strafbar.
Hilfe
Alleinerziehende können sich Hilfe holen:
- Der erste Weg sollte zum Bezirksgericht jenes Bezirks führen, in dem das Kind wohnhaft ist. Jeden Dienstag helfen dort Rechtspraktikanten bei der Antragstellung und Einforderung der Zahlungen.
- Kann der zweite Elternteil seinen Unterhaltszahlungen nicht nachkommen, hilft die Kinder- und Jugendhilfe als Anlaufstelle für Alleinerziehende und Kinder unterstützend aus. Auch kostenlose juristische und psychosoziale Beratung wird zur Verfügung gestellt.

Mit 1.672 Euro monatlich gilt eine Mutter mit einem Kind unter 14 Jahren als armutsgefährdet. Viele Alleinerziehende haben noch weit weniger Geld zur Verfügung.
Einkommensschere: auch die Jüngsten betroffen
Die besondere Dramatik der Situation für Alleinerziehende spiegelt sich in der fehlenden Unterhaltsgarantie wider.
- Bislang gilt: Zahlt der getrennt lebende Elternteil nicht, gibt es einen Unterhaltsvorschuss vom Staat. Aber auch dieser Betrag richtet sich nach dem Gehalt des oder der Unterhaltspflichtigen.
Eine aktualisierte Kinderkostenanalyse – die geltende stammt aus den 1960er-Jahren! – sei längst überfällig, so der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser, der österreichische Frauenring und der Verein Feministische Alleinerzieherinnen. Eine solche Studie wurde nun vom Sozialministerium in Auftrag gegeben, Ergebnisse werden erst für Ende 2021 erwartet.
Das Justizministerium zweifelt indes die juristische Umsetzbarkeit einer Unterhaltsgarantie an – ein Umstand, der die Vereine, die um das Wohl der Alleinerziehenden und ihrer Kinder besorgt sind, in Aufruhr versetzt. Sie fordern eine dauerhafte Anhebung des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent, transparenten Zugang zum Familienhärtefallfonds und den Familienbonus in Höhe von 1.500 Euro für jedes Kind. Auf diese wichtige Unterstützung hofft auch Romina T. als eine von 76.700 Alleinerzieherinnen in Österreich, die armutsgefährdet sind.
TiPPS
Informationen zu Unterhalt, Trennung, Gewalt und Obsorge:
- Frauenzentrum der Stadt Wien: Tel. +43 1 408 70 66
- Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser: www.aoef.at
- Verein Feministische Alleinerzieherinnen: www.verein-fema.at
- Frauenring: www.frauenring.at
Telefonische Beratung und Hilfe:
- Stadt Wien – Kinder- und Jugendhilfe: Tel. +43 1 4000-8011
- Frauenhelpline gegen Gewalt: Tel. 0800 222 555
Autorin
Autorin MARION BRUGGER ist ausgebildete Kindergartenpädagogin und Volksschullehrerin. Außerdem ist sie Verfasserin eines Buches zum Thema Begabungsförderung. Sie hat eine Tochter und unterrichtet an einer Volksschule in Wien.
Die Kontaktstelle für Alleinerziehende bietet ein breit gefächertes Angebot für Alleinerziehende.
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