Der Zusammenhang
Bewegung ist wichtig für unser körperliches Wohlbefinden, so der allgemeine Tenor. Wie aber hängt Bewegung mit kognitiver Leistung zusammen? Und warum ist die gemeinsame Bewegungszeit so wichtig für die Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern? Ein Erklärungsversuch.
„Zu viel Bildschirmzeit schadet der Gehirnentwicklung von Kindern.“ „Immer mehr Kinder brauchen eine Brille.“ „Viele Kinder bewegen sich zu wenig.“ „Die Zahl der Grundschüler mit motorischen Entwicklungsstörungen steigt.“ Die Medizin schlägt seit geraumer Zeit Alarm und versucht in Medien für ihre Botschaft Gehör zu finden: Tut endlich etwas – so kann es nicht weitergehen!
Bewegungsanreize schaffen
Auch wenn die Ansätze zum Teil verschieden sind, zeigen sich die Fachleute einig: Bewegung ist wichtig für die Entwicklung. Studien beweisen, dass es einen signifikanten Zusammenhang zwischen der körperlichen Bewegung und der kognitiven Leistungsfähigkeit bei Kindern gibt.
Gerade die feinmotorische Koordination ist für mathematische Leistungen wichtig. Je vielfältiger die Bewegungsanreize, desto mehr wird die Konzentration gefördert und der präfrontale Cortex gestärkt. „Wenn wir Kindern viele Bewegungserfahrungen ermöglichen, wirkt sich das auch positiv auf viele andere Bereiche wie die Wahrnehmung, die Kognition, die Sprache oder die Emotion aus“, ist sich Psychomotorikerin Veronika Pinter-Theiss sicher. Die Obfrau des Aktionskreises Motopädagogik Österreich unterstützt Familien dabei, durch unterschiedliche Bewegungsanreize Kinder dort abzuholen, wo sie stehen. Bewegung, so die Grundannahme, hilft ängstlichen Kindern ebenso wie besonders zappeligen, unruhigen oder auch gestressten Kindern.
Wichtig sei es, so Pinter-Theiss, die Selbstbestimmtheit des Kindes zu erhalten und zu fördern. Dafür ist es notwendig, dass wir uns selbst ein wenig zurücknehmen. „Kinder wollen laufen, klettern, balancieren, mit Bällen spielen. Sie lieben unebenes Gelände und den Kontakt mit Wasser. Sie wollen herausfordernde Situationen mit Herzklopfen meistern. Manchmal müssen wir dabei auch die eine oder andere riskantere Situation zulassen, ihnen zutrauen, dass sie sich auf dem Klettergerüst oder im Hochseilgarten bewegen können“, ermutigt die Sportwissenschafterin. Das ist nicht immer einfach. Gerade, wenn der Nachwuchs zu ungestüm an eine Bewegungsherausforderung heranzugehen scheint, erfordert das bei den Eltern Nerven wie Drahtseile und großes Vertrauen in die Fähigkeiten des eigenen Kindes.
Die Bedeutung von Vertrauen
Vertrauen und Zutrauen spüren Kinder auch, wenn man ihnen signalisiert, dass ihre Wünsche und Bedürfnisse wichtig sind. Erwachsene müssen da mitunter behutsam zuhören und beobachten: Was braucht mein Kind gerade? Was will und was kann es?
Das Thema ist so brisant, dass sich in den späten 1970er-Jahren ein neues Forschungsgebiet entwickelt hat: die Psychoneuroimmunologie. Dabei geht es um die Wechselwirkung zwischen der Psyche, dem Nerven- und dem Immunsystem. Mit anderen Worten: Positive wie auch negative Gedanken beeinflussen die Immunabwehr.
Natürlich kommen auch Wünsche des Sprösslings zum Vorschein, denen Eltern kritisch gegenüberstehen, wie zum Beispiel das Interesse am Tablet oder am Zocken auf der Konsole. Doch auch hier lassen sich Kinder gut abholen. „Wie wäre es zum Beispiel mit Geocaching? Dabei sind wir gemeinsam mit unseren Kindern in der Natur unterwegs und begeben uns auf eine Schatzsuche“, schlägt Pinter-Theiss vor. „Überall, wo Kinder eine für sie interessante Aufgabe finden, stecken auch kognitive Herausforderungen drin.“ Was bei diesem Beispiel besonders hervorsticht, ist die gemeinsame Zeit, die Eltern mit ihren Kindern verbringen.
Nach einem langen Tag im Büro mag diese Vorstellung vielen Erwachsenen ermüdend erscheinen. Doch vielleicht gibt es Erlebnisse und Aktivitäten, die sowohl die Kleinen als auch die Großen interessieren. Kinder wünschen sich und brauchen eine verlässliche Beziehung. „Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Kinder bereit sind, ihr Tablet oder ihre Spielkonsole zur Seite zu legen, wenn es da einen Erwachsenen gibt, der sich mit ehrlichem, echtem Interesse mit ihnen beschäftigt“, weiß die Psychomotorikerin. Das bedeutet nicht, stundenlang mit dem Nachwuchs Legotürme bauen zu müssen. Wenn wir aber selbst Freude an Bewegung haben, können wir auch unsere Kinder dazu animieren. Das stärkt nicht nur das Vertrauen und die Beziehung zwischen uns und dem Nachwuchs, sondern trägt auch zu einem gesunden Selbstkonzept des Kindes bei.
Hier, im kleinen, geschützten Rahmen, spüren die Kinder: Ich kann etwas bewirken. Schön ist es, wenn die Erwachsenen dann auch noch neue Erfahrungen anbieten. Schließlich kann man nur zu etwas Lust haben, was man kennt.
Vorwärts springen – Im Raum und im Zahlenraum
Solche neuen Bewegungsanreize können auch mit kognitiven Aufgaben verbunden sein. „Wer sich gut im Raum orientieren kann, tut sich auch beim Rechnen im Zahlenraum oder beim Erlernen der Buchstaben leichter. Das alles hat etwas mit der Raumlage zu tun“, ist sich Pinter-Theiss sicher.
Es macht also wenig Sinn, ein Kind, das sich ohnehin mit dem Schreiben der Buchstaben plagt, zum Stillsitzen zu zwingen. Effektiver wäre es, ihm ganzkörperliche Bewegungserfahrungen zu ermöglichen. Das kann zum Beispiel geschehen, indem der Buchstabe mit Abdeckband auf dem Boden aufgeklebt und vom Kind nachgehopst, mit bunten Steinen nachgelegt oder mit dem Körper nachgebaut wird.
Auf der Webseite des Aktionskreises Motopädagogik Österreich werden eine Menge solcher oder ähnlicher Spielideen für drinnen und draußen vorgestellt. Bewegung und Lernen sind demnach miteinander verknüpft – und das sogar mehr, als die oftmals starren Stundeneinheiten an unseren Schulen zulassen. Umso wichtiger ist es, dass wir unseren Kindern vielfältige Bewegungserfahrungen ermöglichen. Und wer weiß: Vielleicht entdecken wir dabei auch für uns die Freude an der Bewegung (wieder)?
Autor:in:
Zur Person Marion Brugger ist ausgebildete Kindergartenpädagogin, Horterzieherin und Volksschullehrerin. Außerdem ist sie Verfasserin eines Buches zum Thema Begabungsförderung. Sie hat eine Tochter und unterrichtet an einer Volksschule in Wien.…