Was sind die Unterschiede zu Regelkindergärten- und Schulen?
NEW MOM hat einen Montessori-Kindergarten und eine Montessori-Schule zwecks Lokalaugenschein besucht.
WELCHE SIND DIE GRUNDSÄTZE?
Ich habe einen Termin im Montessori-Haus „Ich bin Ich“ in Klosterneuburg. An der Türe empfangen mich zwei der fünf Betreuerinnen, Frau Aplienz und Frau Rudorfer. Tanten, wie sonst im Kindergarten üblich, wollen sie nicht genannt werden. „Schließlich sind wir mit den Kindern ja nicht verwandt“, lächelt Frau Aplienz. Die Anrede der Betreuungspersonen ist aber nicht der einzige Unterschied zu „normalen“ Kindergärten. Gleich beim Betreten des ersten Raumes des Kinderhauses fällt mir eine lustige Runde kleiner Mädchen und Buben auf, die gemeinsam mit einer Betreuerin Äpfel schälen. „Zu Mittag gibt es Apfelstrudel“, wird mir erklärt. Die Kinder helfen öfters beim Kochen – auch ein Messer zu benutzen ist kein Problem für sie. Das ist nur ein kleines Beispiel dafür, wie die Kinder zur Selbstständigkeit erzogen werden sollen.
Auf dem Weg durch das Haus werden mir die Grundgedanken der Montessori-Pädagogik näher gebracht.
Die wichtigsten Grundpfeiler sind
- Respekt für das Kind und
- das Vertrauen darin, dass Kinder in einer passenden Umgebung von selbst lernen wollen.
Diese Wissbegierde soll durch spezielle Materialien, die zum Spielen und Lernen dienen, gefördert werden. Entwickelt wurden sie Großteils von der Begründerin der Montessori-Pädagogik, der ersten italienischen Ärztin, Maria Montessori. Gegen alle Widerstände einer patriachalischen Gesellschaft hat Maria Montessori bereits in den zwanziger Jahren ihre fortschrittlichen Grundsätze entwickelt und umgesetzt. In Österreich war diese Pädagogik bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren bekannt, in den achtziger Jahren erlebte sie ein Revival.
WAS GIBT ES FÜR DIE „KLEINEN“?
Mittlerweile sind wir beim Spielraum der Kleinsten angelangt. Hier können die Zwei bis Drei jährigen nach Herzenslust toben und spielerisch – anhand der Montessori-Materialien – lernen. „Normales Spielzeug„, wie Lego oder Playmobil, gibt es im Kinderhaus übrigens nicht. In einer Ecke stehen, ordentlich zusammengerollt, mehrere kleine Teppiche. Frau Aplienz erklärt mir, dass schon die Kleinsten daran gewöhnt werden, ihre „Arbeitsmaterialien“ auf einem der Teppiche aufzubauen. Das sei gut für die Konzentration, versichert sie mir. Wenn ich an meinen kleinen Sohn denke, der sich manchmal, dank der mittlerweile angesammelten Spielzeugmassen, nicht so recht entscheiden kann, womit er spielen soll, leuchtet mir das durchaus ein. In ihrem Raum sind „die Kleinen“ unter sich, werden aber von den „den Großen“, also den Drei bis Sechsjährigen, besucht oder treffen sie bei gemeinsamen Tätigkeiten.
WAS GIBT ES FÜR DIE „GROSSEN“?
Die größeren Kinder können zwischen den Angeboten in verschiedenen Zimmern wählen: Sehr beliebt ist der Bewegungsraum. Hier können bis zu sechs Kinder (mehr dürfen nicht hinein) ihrem kindlichen Drang zu hüpfen, zu laufen und zu springen mit Unterstützung eigener Materialien, wie z.B. der schiefen Ebene, freien Lauf lassen. Fast immer entwickeln sich dabei Rollenspiele, bei den auch das Konflikte lösen geübt werden kann. Als die Betreuerin mit mir weiter gehen will, stutze ich: „Bleiben die Kinder hier alleine?“
Erst jetzt fällt mir auf, dass ich auch in den anderen Räumen den Eindruck hatte, dass sich die Kinder weitgehend selbstständig beschäftigen. Während im konventionellen Kindergarten die Tanten meist das Programm vorgeben und auch als Spielpartner agieren, beobachten die Betreuerinnen das Treiben ihrer Schützlinge und geben Hilfestellungen. Sie stehen den Kindern also mit Rat und Tat zur Seite. „Wenn ein Kind nur herumschlendert und sich von selbst keine Beschäftigung sucht, dann machen wir ihm natürlich einen Vorschlag„.
Das Angebot ist groß: Neben dem Bewegungsraum gibt es ein Zimmer, das dem kreativen Gestalten gewidmet ist, also Malen, Zeichnen, Basteln. Alle Utensilien – auch Scheren und Klebstoff – stehen zur freien Verfügung. In einem anderen Zimmer befinden sich die didaktischen Materialen zu Mathematik, Sprache und Schrift sowie kosmischer Erziehung. Neben den übungen des täglichen Lebens sind das die Eckpfeiler des Montessori Unterrichts, die mir auch in der Schule wieder begegnen werden. Apropos Schule: Die Kinder „meiner Betreuerinnen“ gehen in die Montessori-Schule in Klosterneuburg. Was könnte besser beweisen, dass ihre Mütter wirklich vom Montessori-Gedanken überzeugt sind? Beim Abschied empfehlen mir die beiden Damen, auch einmal bei der Schule vorbei zu schauen.
WELCHE LERNMETHODEN WERDEN UMGESETZT?
Ich habe den Rat der freundlichen Betreuerinnen aus dem Kinderhaus befolgt. Neun Uhr in der Montessori-Schule Klosterneuburg; ich besuche die Primeria. Gleich zu Beginn werde ich darüber aufgeklärt, dass hier nicht nur die ABC-Schützen untergebracht sind, sondern Kinder zwischen sechs und neun Jahren gemeinsam unterrichtet werden. Zwischen zehn und zwölf Jahren besuchen die Schüler die Sekundaria I, danach bis zum Ende des Pflichtschulalters die Sekundaria II. Beim Betreten der Klassenräume bietet sich mir ein ungewohntes Bild: Einige Kinder sitzen mit einer Betreuerin am Boden und sind in das Arbeiten mit Mathematik-Materialien vertieft. Gegenüber liegt ein Bub in der Leseecke und liest ein Buch. Ein anderes Kind sitzt im selben Raum am Computer. Im Jausenzimmer wird genüsslich gemampft und geblödelt. Eine der Lehrerinnen klärt mich auf: Von acht bis zehn Uhr sind die Kinder mit der so genannten „Freiarbeit“ beschäftigt. Jedes Kind kann sich also seine Beschäftigung selbst aussuchen, das heißt aus den vorbereiteten Materialien – sowohl Thematik als auch Schwierigkeitsgrad – wählen oder es gemütlich mit einer kleinen Jause angehen lassen.
WIE SIND DIE UNTERRICHTSFÄCHER AUFGEBAUT?
Die „Arbeitsangebote“ an die Kinder, das heißt die Montessori-Materialien, sind nach Themen getrennt aufgebaut. Ich bewundere die vielfältigen Arbeitsunterlagen zu Mathematik, Sprache und Schrift, Sinnesmaterialien und kosmischer Erziehung. Die Kinder sollen abstrakte Lerninhalte über die Tätigkeit mit konkretem Material im wahrsten Sinn des Wortes be-greifen. Während ich die ungewohnten Schulunterlagen fotografiere, kommt ein vielleicht achtjähriger Bub auf mich zu: „Wir bauen gerade die Zahlentreppe auf. Da können sie sicher gute Fotos machen!“. Stolz bauen die Buben eine Art Wendeltreppe mit bis hundert nummerierten Stufen vor mir auf. Die Frage, ob ihnen das Spaß macht, ist überflüssig. Mathematikunterricht, einmal anders. Langweilig wird den Kids während der „Freiarbeit“ also nicht. Danach setzen sich alle Schüler der Primeria und die Lehrerinnen zu einem Gesprächskreis zusammen. „Wer möchte heute eine Aufgabe?“ „Keiner“, denke ich schmunzelnd. Als tatsächlich ein paar Hände in die Höhe gehen, werde ich eines besseren belehrt. Bevor der Schultag mit Seminaren weitergeht, gehen die Kinder in den Garten.
WIE WIRD BENOTET?
Zwei der Lehrerinnen setzen sich zu mir, um mich mit weitern Informationen zu versorgen. „Und wo bleibt der Ernst des Lebens?“, spuckt es mir im Kopf herum. Laut frage ich, ob die These, dass Kinder unter fachgerechter Anleitung freiwillig und mit gutem Erfolg lernen, in der Praxis funktioniert. Das Wissen der Kinder spräche eine deutliche Sprache, bekomme ich zur Antwort. Das wird in den so genannten „Pensenbüchern“ akribisch genau dokumentiert: Beim Schuleintritt wird für jedes Kind ein solcher Ordner angelegt, in dem nicht nur einzelne Fächer, sondern auch einzelne Fähigkeiten bewertet werden. Besonders beeindruckt mich, dass auch das soziale Verhalten des Kindes genau beschrieben wird. Zeugnisse gibt es nach vier und nach neun Jahren, also am Ende der Volks- und Hauptschule, oder beim Schulaustritt. Da die Schule Öffentlichkeitsrecht hat, können die Kinder ohne Aufnahmeprüfung eine weiterführende Schule besuchen.
Ob es da in der Praxis Probleme gäbe? „Wenn wir wissen, das ein Kind ins Gymnasium gehen möchte, und es ist in einem bestimmten Fach noch nicht so weit, dann bereiten wir es extra vor“, erklärt mir die Lehrerin. Ganz billig ist ein solcher Sonderweg in die Welt des Wissens freilich nicht: Zu Anfang müssen die Eltern immerhin zweihundertachtzig Euro im Monat berappen, in den höheren Klassen sind es dann schon vierhundert Euro. Die Nachmittagsbetreuung kostet extra. Eine besondere Mitarbeit der Eltern in der Schule wird nicht gefordert. Trotz der Kosten ist der Zulauf zu Montessori-Schulen groß. Schließlich klingt es auch zu verlockend: Ohne Druck und Stress selbstbewusste, selbstständige und wissbegierige junge Menschen erziehen.
Literaturtipps:
Maria Montessori, Kinder lernen schöpferisch
Herder
ISBN 3451042622
Ulrich Steenberg, Kinder kennen ihren Weg
Klemmt[&]Oelschläger
ISBN 3980273911
Heidi Maier-Hauser, Lieben, Ermutigen, Loslassen
Beltz
ISBN 3407228163
Biebricher, Montessori für Eltern
Rowohlt Tb
ISBN 3499605813
Infos auf www.montessori.at
Kontakt um in die Montessori-Pädagogik „hineinzuschnuppern“ Montessori Haus „Ich bin Ich“ Wasserzeile 37-39, 3400 Klosterneuburg Tel. 02243/24736
Autor:in:
Zur Person Mag. Claudia Ohnesorg-Csik studierte Handelswissenschaften an der WU Wien. Ist Mutter von zwei Töchtern. Sie ist für die Online Redaktion zuständig und verantwortet die Social Media Präsenz. Aktuelle…