Kaum ein Thema ist so negativ besetzt wie Bettnässen (Enuresis). Es ist peinlich, eine Schande. Ein Versagen der Eltern und des Kindes. Sicher ein psychologisches Problem. Der ganze Druck macht die Sache aber nur schlimmer! Dabei ist Enuresis weit verbreitet. Mit der richtigen Therapie und ein wenig Geduld lässt sich das Problem in den Griff bekommen.
WICHTIGE FACHBEGRIFFE
- Enuresis diurna: Das Kind nässt tagsüber ein.
- Enuresis nocturna: Das Kind nässt nachts ein.
- Primäre Enuresis nocturna: Das Kind war nachts noch nie trocken (ca. 80 Prozent der Fälle).
- Sekundäre Enuresis nocturna: Das Kind beginnt nach mindestens sechs Monaten Trockensein wieder nachts einzunässen.
Was ist eigentlich los?
Schauen wir uns die Geschichte von Florian an. Er ist 6½ Jahre alt und kommt im Herbst in die Schule. In fünf von sieben Nächten passiert ihm immer noch ein „Malheur“. Tagsüber hat er aber kein Problem. Seine Eltern nahmen das bis jetzt gelassen, da aber im Herbst die Einschulung bevorsteht, werden sie mit ihm auf der Kinderurologie des AKH Wien bei der Leiterin Dr. Manuela Hiess vorstellig.
Frau Dr. Hiess versucht Florians Vertrauen zu gewinnen und ihm Mut zu machen. „Ich sage ihm, dass Bettnässen weit verbreitet ist und sicher noch weitere Kinder seiner Gruppe damit zu tun haben. Außerdem rede ich auf Augenhöhe mit ihm, er kann mich ruhig Manuela nennen.“ Das baut Druck ab. Die körperliche Untersuchung – äußeres Genital, Ultraschall von Blase und Nieren – zeigt, dass alles in Ordnung ist. Auch ein Harnwegsinfekt liegt nicht vor. Ein diskreter Blick in Florians Unterhose zeigt keine Stuhlspuren, von dieser Seite gibt es also auch kein Problem; Blasen- und Darmprobleme hängen nämlich oft zusammen. Zu guter Letzt will Frau Dr. Hiess noch wissen, ob Florian schnarcht oder unter Apnoe (= Aussetzen der Atmung) leidet, weil ein Zusammenhang zwischen Enuresis und HNO-Problemen besteht. Dann kann ein(e) HNO-SpezialistIn helfen. Jetzt wissen wir, was Florian nicht hat – aber noch nicht, was er hat.
Das Miktionsprotokoll – Um und Auf der Enuresis-Diagnose
Dr. Hiess erläutert: „Das Miktionsprotokoll ist das wichtigste Diagnoseinstrument bei Enuresis und für die Therapieplanung unerlässlich. Es zeigt an, wie oft am Tag uriniert wird und wie viel. Das erlaubt Rückschlüsse auf die funktionelle Blasenkapazität und darauf, ob das Bettnässen durch eine falsche Verteilung der Trinkmenge begünstigt wird.“
Dazu muss für Florian 48 Stunden lang ein Miktionsprotokoll (Miktion: Harnlassen) geführt werden:
- Florian muss jedes Mal in einen speziellen Messbecher urinieren.
- Jedes Getränk und jeder Toilettengang müssen genau dokumentiert werden.
- Für die nächtliche Harnausscheidung gibt es ein eigenes Feld; der erste Toilettengang morgens gehört auch dazu.
- Würde Florian eine Windel verwenden, müsste sie nass gewogen und ihr Gewicht im Vergleich zu einer trockenen Windel angegeben werden.
- Ein Stuhlprotokoll muss ebenfalls geführt werden, denn Blasenprobleme und chronische Verstopfung hängen eng zusammen: Das kindliche Becken ist schmal – wenn der verstopfte Darm da zu viel Platz wegnimmt, kann sich die Blase nicht richtig bewegen und entwickeln.
Ergebnis des Miktionsprotokolls
Florians Miktionsprotokoll liefert die folgenden Aufschlüsse:
- Seine altersgemäße Blasenkapazität wären 225 ml. Er trinkt 750 ml am Tag, allerdings einen großen Teil davon – ca. 400 ml – nachmittags und am Abend, weil er im Kindergarten nicht ans Trinken denkt Tagsüber uriniert er viermal, mit jeweils bis zu 150 ml. Nachts produziert er 220 ml Harn.
Verhaltensänderung als erste Therapieempfehlung?
Als Erstes soll Florian sein Trinkverhalten anpassen: mehr trinken, aber gleichmäßiger über den Tag verteilt. Nach acht Wochen zeigt sich, dass sich Florians Problem zwar gebessert hat – er nässt jetzt noch in drei von sieben Nächten ein -, aber noch nicht ganz behoben ist. Das Trinkschema hat sich bewährt, seine nächtliche Harnmenge beträgt jetzt 180 ml.
„Alarmtherapie“ als zweiter Schritt
Da Florians Eltern jeder Therapieform gegenüber offen sind, schlägt Dr. Hiess eine „Alarmtherapie“ vor. Dazu legt man eine Matte unter das Leintuch, die mit einem Alarmgerät verbunden ist, das bei den ersten Tropfen Flüssigkeit anschlägt. Es gibt auch sogenannte „Klingelhosen“ anstatt der Matte.
Wichtig ist, dass dieses System das Kind genau im richtigen Moment weckt, nämlich dann, wenn die Blase voll ist. Nur so lernt es, seine volle Blase zu kontrollieren. Was man nämlich gar nicht tun darf: Das Kind willkürlich aus dem Schlaf reißen, z.B. bevor die Erwachsenen zu Bett gehen. Das stört den Schlafrhythmus des Kindes, ein Zusammenhang mit der Blasenfüllung ist nicht gegeben. Die „Alarmmethode“ ist bei konsequenter Anwendung oft erfolgreich: Nach acht Wochen sind viele Kinder trocken, so auch Florian.
Was kann man tun, wenn die „Alarmtherapie“ nicht geeignet ist?
In diesen Fällen kann man medikamentös behandeln. Dabei versucht man, die hormonelle Komponente der nächtlichen Harnproduktion zu verbessern.
- In der Nacht sorgt an sich das Hormon ADH (Antidiuretisches Hormon) dafür, dass der Harn stärker konzentriert ist, damit der Schlaf nicht durch Toilettengänge unterbrochen wird. Wird noch zu wenig davon gebildet, kann es zum Bettnässen kommen.
Die Therapie dauert mindestens drei Monate, danach kann begonnen werden, das Medikament nach und nach abzusetzen. Alternativ kann mit Medikamenten gegengesteuert werden, die auf die Blasenmuskulatur wirken, den Harndrang senken und zu einer Steigerung der Blasenkapazität führen. Da als Nebenwirkungen Mundtrockenheit und Verstopfung auftreten können, ist es wichtig, dass das Kind genug trinkt. Die gute Nachricht zum Schluss: Altersunabhängig kommt es in 15 Prozent aller Fälle pro Jahr zur Spontanheilung!
Häufige Ursachen der Enuresis
- Hormonelle Steuerung: Die Entwicklung der Blasen-Hirn-Steuerung ist erst mit dem vollendeten 5. Lebensjahr abgeschlossen. Davor wird möglicherweise noch nicht ausreichend ADH (Antidiuretisches Hormon) produziert, das die nächtliche Harnproduktion verringert.
- Zu kleine Blase
- Genetische Vorbelastung: War ein Elternteil betroffen, ist es das Kind zu 44 Prozent auch, waren es beide Elternteile, beträgt die Wahrscheinlichkeit 77 Prozent. War kein Elternteil betroffen, sind es nur 15 Prozent. Buben sind doppelt so häufig betroffen wie Mädchen.
- Ungünstiges Trinkverhalten: Das Kind trinkt nicht über den Tag verteilt, sondern hauptsächlich abends.
- Hohe Weckschwelle
- HNO -Probleme: Es besteht ein Zusammenhang zwischen Apnoe (Schnappatmung), Schnarchen, Mundatmung und der Harnproduktion. Häufigkeit bei Kindern bis fünf Jahre: 5-10 Prozent, bei Jugendlichen 1-2 Prozent.
Fachliche Beratung
Dr. Manuela Hiess, Universitätsklinik für Urologie, Leitung Kinderurologie der Universitätsklinik für Urologie, AKH Wien
1090 Wien, Währinger Gürtel 18–20
INTERNATIONALER TAG DES BETTNÄSSENS
Club Mondkind – Bettnässen ist kein Drama, sondern ein lösbares Problem
Der Internationale Tag des Bettnässens findet alljährlich statt, um mehr Bewusstsein für das Thema des ungewollten nächtlichen Einnässens und dessen Folgen für Kinder und Familien zu schaffen.
Die Informationsplattform Club Mondkind unterstützt die Bestrebungen, die vielen Irrtümer rund um das Tabuthema auszuräumen. Der Internationale Tag des Bettnässens (engl. „World Bedwetting Day“) wurde von der International Children’s Continence Society (ICCS) und der European Society for Paediatric Urology (ESPU) ins Leben gerufen und findet jedes Jahr am letzten Dienstag im Mai statt.
Im Mittelpunkt der Aktion steht die Botschaft, dass Bettnässen bei Kindern ein häufiges Problem ist, das behandelt werden kann und soll. Offen über das Thema sprechen Neue aufklärende Initiativen sind dringend notwendig, um das Verständnis für Bettnässen bei Eltern und in der Öffentlichkeit zu verbessern. Die österreichische Onlineplattform Club Mondkind, auf der sich Eltern betroffener Kinder umfassend zum Thema Bettnässen informieren können, unterstützt entsprechende Aktionen wie den Internationalen Tag des Bettnässens. Es soll dazu ermuntert werden, offen über das Thema zu sprechen, denn Bettnässen muss für die Familie kein Drama sein.
In vielen Fällen führt eine Behandlung zu einer Lösung – und damit zu ausgeschlafenen Kindern. Ferring Arzneimittel GmbH empfiehlt die umfassenden Informationen von Club Mondkind für Familien und medizinische Fachkreise.
Autor:in:
Zur Person: Mag. Elisabeth Sorantin hat Sprach- und Literaturwissenschaften studiert und sich vor allem auf die Vermittlung von komplexen Sachverhalten in einer allgemein verständlichen Sprache spezialisiert. Aktuelle Artikel