Wie berechnet man den Inhalt einer Fläche, die aus einem Halbkreis, einem Rechteck und einem Dreieck zusammengesetzt ist? Wie verfasst man eine lineare Erörterung? Warum schreibt man „Schule“ ohne, aber „Fahrt“ mit stummem h, obwohl beide einen lang ausgesprochenen, betonten Selbstlaut haben?
Fragen wie diese beschäftigen Eltern in den langen Wochen des COVID-19-bedingten Homeschoolings. Corona hat von heute auf morgen aus unseren Wohnungen eine „Schule zu Hause“ gemacht. Und aus Eltern TeilzeitlehrerInnen oder zumindest LernhelferInnen neben ihrem Brotjob, den viele im Home-Office erledigen können.
Was ist positiv am „Corona-Homeschooling“? Was sollten wir beibehalten und welche Strategien verfolgen wir weiter?
Wie verläuft der Alltag?
Während viele Eltern berichten, dass sie scheinbar endlose Diskussionen mit ihren Kindern führen müssen, um sie zum Lernen und Aufgabenmachen zu bewegen, erzählen zahlreiche andere, dass sie in der Corona-Zeit eine bessere Gesprächsbasis mit den Kindern finden. Das liegt zum Teil daran, dass die tägliche Hektik eines normalen Schultages weggefallen ist. Schließlich ist man mit einem Schritt vom Frühstückstisch am Schul- und Arbeitsplatz. Zudem fällt das Einpacken der Jause und das Gedrängel im Badezimmer und vor der Toilette weg. Da es zu Hause keinen Dress-Code gibt, kann man den Schultag auch einmal in Jogginghose und T-Shirt verbringen. Also kein „Jetzt trödle nicht so herum!“, „Zieh dich schneller an!“ und „Ich komme zu spät ins Büro!“
- Kinder können nun ein bisschen Einblick in die alltägliche Berufsarbeit ihrer Eltern gewinnen, und ebenso in die Arbeiten, die im Haushalt erledigt werden müssen.
- Auf der anderen Seite sehen Eltern, was ihre Kinder tagtäglich in der Schule leisten müssen.
Wie wichtig sind Bewegungsfreiheit und Pausen?
In der Homeschooling-Zeit wird die viel diskutierte tägliche Turnstunde plötzlich möglich. Es gibt erstaunlich viele Online-Videoangebote für bewegte Kids. Sogar manche Fernsehsender bieten zeitweise Bewegung, Sport und Brain-Gym an. „So viel wie in der Corona-Zeit sind wir sonst nie mit unseren Kids im Freien unterwegs““ darin stimmen die meisten Eltern überein. Das tut Groß und Klein gut, denn Bewegung ist ein wichtiger Erholungsfaktor für das Gehirn und fördert die Gedächtnisleistung.
Der Wegfall der Schul- und Arbeitswege hat den Vorteil, dass alle länger schlafen und so konzentrierter arbeiten können. Ausreichend Bewegung und ein ausgewogener Lebensstil mit regelmäßigen, frisch zubereiteten Mahlzeiten sind ein wertvoller Erfahrungswert, den Eltern in die Zeit nach den COVID-19-bedingten Schulschließungen mitnehmen können.
Ist Lernen mehr als Wissensvermittlung?
Lernen bedeutet:
- Das Kind erfährt und versteht etwas, z.B. wie das Einmaleins funktioniert, und kann dieses Wissen praktisch nutzen, etwa wenn es beim Einkauf das Malrechnen anwendet und den Gesamtpreis errechnen kann.
Gerade das Homeschooling bietet die Möglichkeit innovativ zu werden:
- LehrerInnen mit Lernvideos,
- Eltern mit flexibel zusammengestellten Lernmaterialien
- und SchülerInnen mit Selbstrecherche im Internet und in Büchern
Genauso funktioniert Lernen: in Anschauungsbeispielen, mit Hilfsmitteln und beim Finden eigener Lernwege, z.B. dem wörtlich verstandenen Begreifen von Malrechnungen durch Abzählen von Murmeln, getrockneten Bohnen, dem Berechnen von Zutaten beim Kochen oder mit selbstgebastelten Einmaleins-Ketten. Dieses Learning by Doing ist in der Corona-Zeit in vielen Familien stark ausgeprägt und sollte auch in Zeiten nach Corona weiterverfolgt werden. Es hilft den Kindern, Querverbindungen zwischen den einzelnen Wissensgebieten zu schaffen. Im Homeschooling verfließen die Lerninhalte der einzelnen Schulfächer ineinander. So macht Lernen Spaß!
Lernen = Schule?
Je selbständiger Kinder den Lernstoff erarbeiten müssen, desto eher begreifen sie, dass Lernen tatsächlich Freude bereiten kann. Es öffnet Türen in eine neue Welt: Sie können einkaufen gehen, ohne über den Tisch gezogen zu werden, ihre Gedanken und Erlebnisse aufschreiben, ihre Meinung über ein aktuelles Thema mitteilen, ein Plakat gestalten, ein Video aufnehmen oder ein eigenes Sportprogramm zusammenstellen. Das selbständige Lernen bewirkt auch, dass die Kinder lernen, sich die Zeit besser einzuteilen und ihre Schulunterlagen (selbständig) zu ordnen. Kinder und auch Eltern neigen dazu, Lernen mit ihrer Schulsituation und dem Lehrer oder der Lehrerin in Verbindung zu bringen. Findet das Kind die unterrichtende Person sympathisch, ist es bereit, weitaus mehr für das Schulfach zu leisten, als wenn sie für das Kind weniger ansprechend oder sogar furchteinflößend ist.
Auch dieses Phänomen hat in der Zeit der coronabedingten Schulschließungen eine Änderung erfahren. Lernen wird wissensspezifischer und weniger personenbezogen. Objektives Lernen unabhängig von der Person, die den Stoff vermittelt, kann ein wichtiger Lerneffekt aus dem Corona-Homeschooling sein. SchülerInnen, die in der Klasse zu den Außenseitern oder gar zu den Mobbingopfern zählen oder infolge von Lernschwächen immer ein wenig hinter der Klasse herhinken, genießen die schulfreie Zeit zumeist sehr. Auf sie sollte in der „Back to school“- Zeit genau geachtet werden. Der Leistungsdruck im Klassenraum ist in jedem Fall höher und kann Kinderherzen zerbrechen lassen.
Was vermissen wir in der Homeschooling Zeit?
Lehrreich kann auch sein, was wir schmerzlich vermissen:
- die (ständige) Erreichbarkeit der LehrerInnen,
- den real anwesenden Lehrer oder die Lehrerin (besonders in den Fremdsprachen),
- das Miteinander in der Klasse,
- das gegenseitige Anspornen zu besseren Leistungen,
- das gemeinsame Lachen, Plaudern und auch manchmal Streiten in den Pausen
- und den geregelten Tagesablauf.
Das Kleingruppentraining in der Wiedereröffnungsphase der Schulen fanden die meisten nahezu ideal. Natürlich vermissten manche ihre Freunde, wenn sie einer anderen Gruppe zugeteilt waren; Kleingruppen haben jedoch den Vorteil, dass der Lehrer oder die Lehrerin auf jedes Kind besser eingehen und Fragen gezielt und individuell beantworten kann. So kann sich niemand verstecken und Lücken oder Lerndefizite fallen rascher auf.
Homeschooling und Online-Unterricht als Selbsthilfe-Lernkurs: ja! Als Dauerlösung: eher nicht. Da sind sich die meisten SchülerInnen und Eltern einig. Und die meisten LehrerInnen erst recht.
Autor:in:
Zur Person DI Roswitha Wurm Dipl. Legasthenie-, Dyskalkulie- und Lerntrainerin, Buchautorin und freie Redakteurin, (Sport)mentaltrainerin https://lesenmitkindern.at/ Aktuelle Artikel