Virenschleuder oder harmlos?
Kaum ging es los mit der Pandemie, wurden Kinder schon als potenzielle Virenschleudern verdächtigt. Auch war nicht klar, wie sehr Kinder selbst gefährdet sind. Mittlerweile hat sich gezeigt, dass Kinder weniger oft und meist weniger schwer an COVID-19 erkranken als Erwachsene; erste Studien liegen vor. all4family hat dazu Assoz.-Prof. Priv.-Doz. Dr. med. univ. Volker Strenger von der Klinischen Abteilung für pädiatrische Pulmonologie und Allergologie der Meduni Graz befragt.
Prof. Strenger (Klinische Abteilung für pädiatrische Pulmonologie und Allergologie der Meduni Graz): „Was Infektionen mit dem Coronavirus betrifft, gibt es keine exakte Trennung zwischen „Kindern“ und „Erwachsenen“, das ist ein fließender Übergang. Auch junge Erwachsene erkranken meist nur mild. Je älter der Patient, umso eher kommt es zu schwereren Erkrankungen“.
Warum wurden Kinder als COVID-19-Superspreader verdächtigt?
Dieses Muster wurde von anderen Infektionskrankheiten, bei denen das wirklich der Fall ist – vor allem bei Influenza (Grippe) -, auf COVID-19 übertragen. Das wurde für das Coronavirus jedoch nie bewiesen.
Daten aus China, den USA, Kanada und Europa haben gezeigt, dass Kinder wesentlich seltener an COVID-19 erkranken als Erwachsene und in den allermeisten Fällen auch nur mild bzw. asymptomatisch. Am Landeskrankenhaus Graz wurden bis Ende April 518 Kinder aufgrund verdächtiger Symptome getestet: Davon waren insgesamt nur drei Kinder positiv, also nur sechs Promille. Ein einziges Kind entwickelte einen schweren Verlauf.
Sind Kinder jetzt potenziell gefährliche überträger oder nicht?
Im Allgemeinen offenbar nicht, ein Restrisiko gibt es immer. Man vermutet, dass Kinder das Virus weniger übertragen, wenn sie selber keine oder nur schwache Symptome entwickeln, also nicht husten oder niesen. Denkbar ist auch, dass Kinder mit milden Symptomen eine geringere Virenlast im Rachen aufweisen.
Eine Studie von Prof. Dr. Christian Dorsten an der Charite Berlin kam zwar zum Ergebnis, dass Kinder eine vergleichbare Virenlast wie Erwachsene aufweisen, aber:
- diese Studie arbeitete nur mit Abstrichen aus Routine-Testungen eines Berliner Labors, ohne genauere Informationen, warum der Test durchgeführt wurde.
- Kinder waren stark unterrepräsentiert und man weiß nicht, ob die Kinder Symptome hatten oder nicht.
- Außerdem weist ein PCRTest nur die Menge des Virus-Erbguts am Abstrichtupfer nach und nicht, wie viele ansteckungsfähige Viren die Person tatsächlich ausscheidet.
Wie lassen sich der mildere Verlauf und die geringere Ansteckungsrate bei Kindern erklären?
Prof. Strenger erläutert: „Derzeit gibt es dazu nur Annahmen. Am wahrscheinlichsten ist die Erklärung, dass die ACE2-Rezeptoren, die das Virus zum Andocken braucht, um eine Wirtszelle zu infizieren, bei Kindern noch weniger ausgeprägt sind. Dazu kommt, dass Kinder noch über ein relativ ausgeprägtes lymphatisches Gewebe, z.B. die Mandeln, im Rachenraum verfügen. Damit ist die lokale Abwehr sehr potent. Bei Erwachsenen bildet sich dieses Gewebe zurück, da es im Allgemeinen nicht mehr so dringend benötigt wird, sobald das Immunsystem viele Erreger kennengelernt und spezifische Antikörper gebildet hat.“
Muss man sich wegen des „Kawasaki-Like-Syndroms“ Sorgen machen, über das bei Kindern berichtet wurde?
Prof. Strenger relativiert: „Das ist ein ungünstiger Ausdruck. Unter dem Kawasaki-Syndrom versteht man eine überschießende Immunreaktion im Rahmen einer spezifischen Gefäßentzündung, ohne dass man genau weiß, warum sie auftritt. Diese Erkrankung ist schon lange bekannt.“ Bei den seltenen Fällen, die jüngst aus China, Großbritannien und den USA gemeldet wurden, bestand sehr wohl eine Verbindung zu COVID-19. Die Kinder hatten zwar teilweise einen negativen Rachenabstrich, aber häufig Antikörper im Blut. Da Kinder oft nur leicht oder asymptomatisch erkranken, wird der Zusammenhang nicht immer erkannt.
Auch der in Graz behandelte Fall hatte ursprünglich einen milden Verlauf, die Verschlechterung trat erst ein paar Tage später auf. Bei dieser massiven Verschlechterung handelt es sich um einen ähnlichen Zytokinsturm (vermehrte Ausschüttung von Entzündungsproteinen im Blut), wie man ihn auch aus der schweren Verlaufsform Erwachsener kennt. Es handelt sich also nicht um ein gesondertes Phänomen, das unverhofft nur bei Kindern auftritt. Der in Graz behandelte Patient ist übrigens wieder gesund und konnte das Spital an seinem Geburtstag wieder verlassen.
Panik bei jeder Erkältung ist nicht angebracht. Worauf Eltern aber achten sollten:
Das Kind bei Symptomen nicht in die Schule oder den Kindergarten schicken und gut beobachten:
- Hat es nur Husten oder fiebert es auch?
- Bekommt es schlecht Luft?
- Wirkt es sehr krank und abgeschlagen?
Dann den Arzt kontaktieren!
Prof. Strenger: „Schwere Verläufe bei Kindern sind extrem selten und in der Regel gut behandelbar.“
Aber eine Warnung zum Schluss: „Lassen Sie Ihr Kind unbedingt gegen Grippe und Pneumokokken impfen! Wir verzeichnen leider jedes Jahr mehrere tote Kinder aufgrund von Influenza. Das ist vermeidbares Leid.“
Tests bei COVID-19
PCR-(Polymerase-Ketten-Reaktion-)Test
- Rachenabstrich zum Nachweis des Virusgenoms als Zeichen einer akuten Infektion
Antikörpertest (Bluttest)
- Zum Nachweis einer überstandenen Infektion
Untersuchungen zur COVID-19-Ansteckungsrate von Kindern:
Bericht der Australischen Gesundheitsbehörden: überprüfung von 15 Schulen, davon 5 Volksschulen, im März 2020
- 18 Fälle wurden gefunden, 9 Schüler und 9 Lehrkräfte.
- 863 enge Kontaktpersonen in diesen Schulen wurden identifiziert und untersucht – nur 2 Kinder wurden (möglicherweise) aufgrund dieser engen Kontakte infiziert.
- Eine isländische Dunkelzifferstudie mit insgesamt über 12.000 Testpersonen vom März 2020 fand mit 1,5% den höchsten Prozentsatz asymptomatischer Fälle in der Altersgruppe der 40- bis 50-Jährigen.
- Kinder/Jugendliche von 10 bis 20 Jahren waren zu 0,5% positiv.
- Bei über 800 Kindern unter 10 Jahren wurde kein einziger Fall nachgewiesen!
- Die Untersuchung eines Clusters in den französischen Alpen zeigte den Fall eines Kindes, das gleichzeitig mehrere Virusinfektionen neben COVID-19 hatte, während der Erkrankung (mit mildem Verlauf) verschiedene Schulen besuchte und keine einzige der 172 engen Kontaktpersonen mit COVID-19 ansteckte.
- Eine chinesische Studie ergab, dass die Ansteckungsrate innerhalb gemeinsamer Haushalte bei Erwachsenen 20%, bei Kindern aber nur 4% betrug.
- Die AG Infektiologie der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) wertete die Daten zahlreicher Kinderabteilungen Österreichs bis Ende April aus.
- In diesen Abteilungen wurden PCR-Tests aufgrund von Atemwegsproblemen und/oder Fieber veranlasst.
- Ergebnis: 0 bis 2,8% der getesteten Kinder waren positiv.
FACHLICHE BERATUNG
Assoz.-Prof. Priv.-Doz. Dr. med. univ. Volker Strenger Leiter der AG Infektiologie der ÖGKJ
Klinische Abteilung für pädiatrische Pulmonologie und Allergologie
Medizinische Universität Graz, Auenbruggerplatz 34/2, 8036 Graz
Autor:in:
Zur Person Mag. Claudia Ohnesorg-Csik studierte Handelswissenschaften an der WU Wien. Ist Mutter von zwei Töchtern. Sie ist für die Online Redaktion zuständig und verantwortet die Social Media Präsenz. Aktuelle…