Der globale Kampf der Supermütter tobt: Sind mongolische Mamas top oder doch eher französische? Weder noch, findet Autor Constantin Gillies. Er meint: Wirklich coole Mütter erkennt man daran, dass sie nicht immer die Besten sein wollen.
Mutti ist die Beste?
Das war einmal. Heute tobt ein weltweiter Mütter-Wettbewerb, und bei dem hat das heimische Modell schon lange verloren. Behaupten zumindest Buchautorinnen. Für sie stammen die wirklich besten Muttis zum Beispiel aus China: hypereffiziente „Tiger-Moms“, die ihre Kinder mit Geigenstunden gängeln. Oder sie werden in Frankreich fündig, wo Mütter ihren Nachwuchs besonders locker im Griff haben – wie jedenfalls die Autorin des Buches „French Children Don’t Throw Food“ („Französische Kinder werfen nicht mit Essen“) feststellt. Die schärfste Kandidatin für den Titel „Weltbeste Mom“ kommt übrigens von ganz weit her: Im TV werden derzeit die Mamas aus der Mongolei als Vorbilder gefeiert.
Schluss mit der Perfektion!
Wie soll Mutti da noch mithalten? Die Antwort ist im Prinzip ganz einfach: indem sie aufhört, die Beste aller Mütter sein zu wollen! Schluss mit Perfektionismus und Hundertprozentigkeit, weniger ist mehr, so sieht der Ausweg aus dem Supermutter-Dilemma aus. Doch genau damit tun sich viele schwer. Moderne Mütter lieben es zum Beispiel, sich als Baby-Butler zu betätigen. Die Konkurrenz aus Peking, Paris und Ulan-Bator vor Augen, erfüllen sie ihren kleinen Schneeflocken jeden noch so abstrusen Wunsch. Selbst eine Anweisung wie „Ich will einen Apfelsaft ohne Eiswürfel und mit zwei rosa Strohhalmen“ führen sie unhinterfragt aus – weil sie Angst haben, sonst nicht mehr die Beste zu sein. Dabei könnte es so einfach sein. Wie wäre es damit, nur noch Befehle auszuführen, die den Filter namens „gesunder Menschenverstand“ durchlaufen haben – und den Rest die Kinder selbst machen zu lassen? Die wirklich lässige Mom setzt nämlich auf Selbstbedienung: Alles, was das Kind alleine kann, macht das Kind alleine, egal, wie lange es dauert und wie unperfekt das Ergebnis wird. Bloß nicht auf das Gegenargument „Da mache ich es lieber schnell selbst“ reinfallen! Das klingt erst einmal nach weniger Arbeit, bedeutet am Schluss aber mehr, weil Mama dann bis in alle Ewigkeit Socken anziehen oder Reißverschlüsse zumachen muss. Auch beim Thema Erziehung verschwenden die neue Mütter viel Energie darauf, Bestleistungen abzuliefern. Nachdem sie sich durch einen Stapel Ratgeber gekämpft haben, spuken in ihren Köpfen nur noch Regeln, Rituale und Reden in Augenhöhe herum. Das produziert freudlose Kinderzimmer-Sheriffs, die jeden noch so kleinen Verstoß gegen die heiligen Erziehungsregeln ahnden.
Ist weniger mehr?
Wie wäre es auch hier mit einer großen Portion Nachlässigkeit? Das Zauberwort lautet Sicht-Erziehung: Wer ab und zu taktisch wegschaut, muss weniger schimpfen. Zum Beispiel, wenn die lieben Kleinen mal wieder mit den Händen statt mit dem Löffel essen: Benimmfanatiker müssten hier natürlich sofort einschreiten, die entspannte Mom studiert einfach weiter den Supermarktkatalog – und schon muss sie den Regelverstoß nicht ahnden. In die pädagogische Weltliga kommt man mit gelegentlicher Sicht-Erziehung nicht, dafür leichter durch den Tag. Weniger ist mehr – das gilt auch in Sachen Freizeitgestaltung. Vorzeige-Moms versuchen ständig, mit ihren Kindern etwas Sinnvolles zu machen und sie so auf eine Karriere bei einem Weltkonzern vorzubereiten. Langeweile ist verboten, Mandarinkurse, Tai-Chi-Lektionen und musikalische Früherziehung sind Pflicht. Dabei könnte alles so einfach sein. Ein verregneter Tag? Wie wäre es mit einer Autofahrt zu einem amerikanischen Schnellrestaurant: Milchkaffee holen, das Kind in die Spiellandschaft abschieben – und danach noch das Abendessen für die ganze Familie einpacken. Voila! Einziger Kollateralschaden: Das Kind bäckt ab sofort im Sandkasten nur noch „Börger“ – worüber die Super-Hennen auf dem Spielplatz natürlich ihre Nase rümpfen. Mit Vernachlässigung hat das alles nichts zu tun, sondern eher mit schlauer Krafteinteilung. Entspannte Mütter wissen, dass es völlig unsinnig ist, sich für einen perfekten Kindergeburtstag, den perfekten Ausflug oder das perfekte Faschingskostüm aufzureiben – ganz einfach, weil Kinder den Unterschied zwischen 80 und 100 Prozent überhaupt nicht merken. Den ganzen Weg gehen? Warum, wenn es auch reicht, bis zur Hälfte zu schlendern?
Ein Lächeln als Lohn
Wie gut ein bisschen Laissez-faire tut, zeigt sich vor allem beim Thema Essen. Direkt nach der Geburt verfallen viele Mütter ja erstmal dem Dinkelwahn. Ihr Motto: Weizenmehl ist Gift, nur Dinkel und Vollkorn sind genießbar. Folglich flackert die erste Geburtstagskerze auf einem Vollkorn-Dinkelkuchen, der in stundenlanger Arbeit nach irgendeinem Ökorezept gebacken wurde. Spätestens nach dem ersten Lebensjahr lässt der Dinkelwahn gottlob nach, und schon am zweiten Geburtstag taut die kluge Mama einen Erdbeerkuchen aus der Tiefkühltruhe des nächsten Supermarkts auf. Für die Liga der weltbesten Mütter reicht das vielleicht nicht. Aber für ein Kinderlächeln allemal.
Weniger ist oft mehr. Das gilt auch und erst recht in Sachen Erziehung.