Eine Beziehung auf Distanz ist heute keine Seltenheit mehr – hauptsächlich aus Jobgründen müssen manche Paare an unterschiedlichen Orten leben und arbeiten. Das ist nicht immer einfach. Wenn das Paar dann ein Baby hat, kommen viele weitere Herausforderungen hinzu …
Das Baby weint. Gerade erst hat Kerstin (27) ihren Sohn gestillt und hingelegt, nun scheint er wieder putzmunter zu sein. „Ich kann nicht mehr“, seufzt die junge Frau. Sie ist müde, bräuchte einmal eine Stunde Zeit für sich. Gleichzeitig sehnt sie sich nach ihrem Partner.
Obwohl Kerstin glücklich verheiratet ist, kann sie sich von ihrem Mann momentan wenig Unterstützung und Zärtlichkeiten erwarten. Er hat vor zwei Monaten einen Job in einem anderen Bundesland angenommen und kommt nur an den Wochenenden nach Hause. Die Beziehung auf Distanz mit Baby ist oft alles andere als einfach.
Wie hoch sind die Anforderungen?
„Frauen mit Baby, die in einer Fernbeziehung leben, sind für alles alleine zuständig. Bei Bedarf müssen sie sich externe Hilfe organisieren, da sie auf den Partner nicht zurückgreifen können“, weiß Karin Glaser, Leiterin des Mutter-Kind-Zentrums Klagenfurt, um die Problematik im Alltag. „Viele andere Frauen fühlen sich auch alleinerziehend, obwohl der Partner in der gleichen Wohnung wohnt“, gibt sie jedoch gleichzeitig zu bedenken. Will heißen: Wie viel Verantwortung ein Vater für sein Kind übernimmt, wie aktiv er sich zu Hause einbringt, ist nicht allein von räumlichen Distanzen abhängig.
Eine Fernbeziehung mit Baby ist von einer speziellen Problematik geprägt. Ein Teil liegt darin, dass sich der Partner, der den Alltag mit dem Kind nicht teilen kann, leicht ausgeschlossen fühlt … und dann allzu leicht vergisst, dass der „zurückbleibende“ Elternteil die gesamte Last der Kinderbetreuung und -erziehung trägt. Hinzu kommt, dass es in den kurzen Zeiten des Zusammenseins – etwa an den Wochenenden – für den Mann heißt, 100-prozentig für sein Kind da zu sein, wenn eine intensive Bindung zu diesem gelingen soll. Gleichzeitig müssen die Erwartungen an die Partnerschaft und an das Zusammenleben erfüllt werden. Dafür können zwei Tage ganz schön knapp werden … Erwarten die Partner zu viel voneinander, sind Spannungen vorprogrammiert!
Wie ist die Beziehung zum Kind?
Grundsätzlich kann eine Beziehung auf Distanz nur glücken, wenn beiden Partnern bewusst ist, dass es Einschränkungen geben wird, und sie diese akzeptieren. Denn: In einer Fernbeziehung mit Baby kommt die Zweisamkeit zu kurz, weil ja – und das ist auch richtig so! – ein großer Teil der Energie in die Beziehung zum Nachwuchs investiert werden muss. „Durch berufsbedingte Trennungen wird bei Säuglingen und Kleinkindern die sensible Grundbindungsphase der ersten drei Jahre unterbrochen“, erklärt Johanna Mödl, Pädagogin und Autorin einer Broschüre zum Thema (siehe Buchtipps). Dies könne zur Folge haben, dass diese Kinder manchmal auch später eine schlechtere Beziehung zum Vater haben als Geschwisterkinder.
Dass Babys und Kleinkinder ein begrenztes Erinnerungsvermögen haben und deshalb manchmal bei Papas Rückkehr fremdeln, sich nur von der Mama trösten und ins Bett bringen lassen, kommt erschwerend hinzu. „Die Väter sollten daher beim Nachhausekommen keine zu hohen Erwartungen haben, sondern sich der Tatsache bewusst sein, dass es möglicherweise eine Distanz zu überwinden gilt“, so Expertin Mödl.
- Hier helfen nur jede Menge Geduld, ein entspanntes Beisammensein im normalen Familienalltag und das Bewusstsein, dass die emotionalen Wellen aus der Situation heraus entstehen.
- Wichtig ist, dass die Frau ihrem Partner eine Chance gibt, sich im Familienleben einzubringen, ihn nicht zum Besucher macht.
Und die Liebe?
Zeit und Energie für Zärtlichkeiten und Gespräche bleiben in einer Fernbeziehung aufgrund der Mehrfachbelastungen meist wenig. Trotzdem oder gerade deshalb sollten sich beide Partner darum bemühen, ihre Liebesbeziehung aufrecht und lebendig zu halten. Pädagogin Glaser rät, sich immer bewusst auch ein bisschen Zeit als Paar – also ohne Kind – einzuplanen. Zumindest einmal im Monat sollte bei einer Wochenendbeziehung ein Abend für die Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau reserviert bleiben. Großeltern, eine Freundin oder ein engagierter Babysitter können sich in diesen Stunden um das Kind kümmern, während die Eltern die so wichtige Zeit der Zweisamkeit genießen.
Reden, reden, reden: So lautet die Erfolgsformel für Fernbeziehungen auch in der Zeit der Trennung. Die modernen Medien machen es heute einfach, miteinander über große Distanzen in Kontakt zu sein, sich über Wünsche, Ängste und Erziehungsfragen auszutauschen, vielleicht auch mal auszuheulen oder gemeinsam zu freuen. Das Wir-Gefühl wird dadurch gestärkt. Wichtige familiäre Entscheidungen sollten auch auf Distanz stets gemeinsam mit dem Partner getroffen werden.
Wie wird der Alltag gemeistert?
Auch wenn die Partnerschaft trotz Trennung gut funktioniert: Eine mehr oder minder alleinerziehende Mutter braucht Menschen, die wirklich da sind, die sie unterstützen können, wenn der Partner nicht greifbar ist. Expertin Mödl rät daher: „Pflegen Sie Ihre Kontakte zu Familie und Freunden, damit Sie verlässliche „Anlaufstellen“ haben.“
Ein Eltern-Kind-Zentrum beispielsweise kann ein Ort des Erfahrungsaustausches mit Gleichgesinnten sein. „Dadurch relativieren sich oft Probleme oder gespannte Situationen“, weiß Pädagogin Glaser. „Außerdem kommen alleinerziehende Mütter aus den eigenen vier Wänden, erleben einen Tapetenwechsel und lernen andere Mütter kennen – vielleicht kann man sich in weiterer Folge auch gegenseitig mit Babysitten unterstützen.“
Besonders intensive Zeit
Rituale helfen, verwirrende Trennungssituationen für kleine Kinder überschaubarer zu machen. So können Vater und Kind beispielsweise beim Abschied ein Kuscheltier austauschen. Da kleine Kinder ihre Umwelt hauptsächlich über die Sinne wahrnehmen, ist Papa so in gewisser Weise für sie präsent, wenn das Kuscheltier nach ihm riecht. Kommt der Vater nach Hause, dann sind auch die beiden Kuscheltiere wieder zusammen.
Fazit:
Stabile Beziehungen und Familien halten die ungewöhnliche Belastung einer Fernbeziehung in der Regel aus. Kurz- bis mittelfristig birgt diese durchaus auch Chancen. „Meine Eltern und Freunde freuen sich regelrecht, wenn ich sie ab und zu um Unterstützung bitte“, hat Kerstin gelernt. „Ich fühle mich jetzt weniger ausgepowert, kann die Zeit mit meinem Kind genießen. Natürlich gibt es manchmal Troubles. Doch im Großen und Ganzen erleben wir die Momente, in denen wir als Familie an den Wochenenden komplett sind, als besonders intensiv und bedeutsam.“