„Ich verstehe euch Männer nicht!“ Petra, meine liebste Ex-Freundin, hatte sich mit mir auf ein Plauderstündchen verabredet, und natürlich schlug sie mir gleich nach der Begrüßung ihren Lieblingssatz um die Ohren. „Was ist los?“, sagte ich. „Ach so, alles klar. Kurt hat sich von dir getrennt!“
„Aber hallo!“ Petra sah mich vernichtend an. „Du bist nicht auf dem Laufenden. Kurt ist schon längst Schnee von gestern. Mark hat mich verlassen!“ Sie seufzte. „Einmal werde ich meinem eigenen Grundsatz untreu, sich nie mit einem verheirateten Mann einzulassen, und schon geht’s schief!“ Sie seufzte noch einmal. „Er ist zu seiner Frau zurückgekehrt. Dieser A… sagt doch tatsächlich zu mir, es hätte ihm gefallen, dass ich so offen sei im erotischen Bereich! Aber nach einem halben Jahr sei er plötzlich draufgekommen, Sex allein sei nicht Grundlage genug für eine Beziehung“. Petra legte wütend einen kleinen Trommelwirbel auf ihrer Kaffeetasse hin. „Mit seiner Frau verbinde ihn halt mehr. Sie hätten so viel gemeinsam. Und sie sei die Mutter seiner Kinder. Super! Aber ich durfte für ihn die Schlampe spielen!“ Petras Blick wurde eiskalt. „Braucht ihr Männer das? Braucht ihr gleichzeitig eine Hure und eine Heilige? Eine, die keusch ist und schön brav zu Hause sitzt, den Haushalt führt und die Kinder großzieht? Und zur selben Zeit eine andere, die im Bett so richtig herumschweinigelt?“
Perfekte Kombination aus Hure und Heiliger?
Es scheint so, als suchen wir Männer nach der perfekten Kombination aus Hure und Heiliger. Einerseits soll unsere Partnerin treu sein, tugendhaft und keusch, die sorgsam ihre Familie umhütet und sich um Mann und Kind fürsorglich kümmert. Andererseits soll sie in erotischer Hinsicht ein geiles Tier sein, verspielt und sinnlich, impulsiv und emotional, jederzeit bereit Neues auszuprobieren und sich völlig gehen zu lassen. Ist das die männliche Sehnsucht nach der Hure und der Heiligen in einer Person? Eines sei gleich vorweg genommen: Wir sprechen in Schlagwörter! Die Bilder, die hier verwendet werden, sind Extreme, die im realen Leben nicht vorkommen. Die Wahrheit liegt, wie so oft üblich, irgendwo da draußen und in der Mitte.
Blickt man zurück in der Geschichte, so zeigt sich, dass hier eine lange, vor allem aber patriarchale Tradition vorliegt. So begegnen wir in der jüdischen Mythologie der Figur der Lilith, Adams erste Frau. Sie wird im ursprünglichen Text der Bibel gleichwertig und gleichberechtigt wie Adam erschaffen. Das ist auch der Grund, warum sie sich ihrem Gatten nicht unterwirft und sich – als Symbol für ihre Gleichberechtigung – weigert, beim Liebesakt unten zu liegen. Ihr Ehegespons gerät darüber in Zorn und schickt sie – wortwörtlich – in die Wüste. Eine Frau, die ihre Sexualität gleichberechtigt auslebt? Da kann nur der Teufel seine Hände im Spiel haben, fanden die Altväter und machten Lilith nicht nur zur „Schutzpatronin“ für Onanie und Prostitution, sondern gleich zur verführerischen Dämonin, die auch einem saftigen Steak aus zartem Kinderfleisch nicht abgeneigt ist.
Na gut, auf zum zweiten Versuch! Aber „dieses Mal Bein von meinem Bein“, wie Adam im Originaltext meint. Eva, seine zweite Frau, wird aus seiner Rippe erschaffen und ist damit offiziell dem Manne untertan. Sie wird zum Symbol für sexuelle Passivität, für Monogamie und aufopferungsvolle Mutterschaft – kurz gesagt: Die Urmutter aller Hausmütterchen!
Maria, die ehrbare, reine, tugendsame Mutter
Das System, die beiden Seiten des Frauseins voneinander zu trennen, findet im abendländischen Mittelalter Widerhall. Die maßgebliche Instanz dieser Epoche, die christliche Kirche, zieht eine scharfe Trennlinie zwischen der profanen, verwerflichen Fleischeslust und der „Minne“, einer vergeistigten, platonischen Liebe, die keinerlei sexuelle Kontakte erlaubte. Der Minnedienst zeigt sich in seiner vollendetsten Form als Marienverehrung. Maria wird zur Personifikation der ehrbaren, reinen, tugendsamen Frau, der nicht nur unkeusche Gedanken völlig fremd sind, sondern die auch absolute Erfüllung in ihrer Mutterrolle findet und trotz Empfängnis und Geburt unberührte Jungfrau bleibt. Maria ist die Mutter Gottes, die Mutter schlechthin!
Heilige und Hexe, Mutter und Hure
„Wenn die weibliche Natur, die von Natur so pervers ist, sich in der Heiligkeit sublimiert, kann sie zum höchsten Gefäß der Anmut werden“, lässt Umberto Eco in seinem Rosenroman den Mystiker Ubertin von Casale sagen – und bringt damit das weibliche Weltbild des Medium Aevum auf den Punkt. Der Begriff der romantischen Liebe setzte sich immer mehr in der westlichen Zivilisation durch. Verlangen und Sexualität wurden in den Hintergrund gedrängt, tabuisiert, ja geradezu verleugnet. Zu Beginn der Neuzeit spricht Mann den Frauen überhaupt jede erotische Neigung ab und stilisiert sie immer mehr zum geradezu asexuelle Wesen hoch. Historiker weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Entstehung dieses Frauenbildes zeitlich mit der Hexenverfolgung zusammenfällt. Kein Zufall, denn die Hexe wurde zur Verkörperung der weiblichen Sexualität. Mehr noch, sie steht stellvertretend für die Sexualität an sich, auch die des Mannes. Indem die Inquisitoren die angeblichen Hexen verfolgten und ermordeten, versuchten sie auch, ihre eigenen Triebe und das sexuelle Verlangen an sich auszurotten.
Als Reaktion trachteten die Frauen ihre Sexualität so gut wie möglich zu verstecken, ja geradezu aus ihrem Leben zu verdrängen. Kein Wunder, denn ein allzu genussvolles Sexualleben war Sünde, war Teufelswerk, und konnte unter Umständen das Todesurteil bedeuten. Das Patriarchat schuf die Doppelmoral Heilige und Hexe, Mutter und Hure. Am Ende dieser Epoche stand die passive, entsexualisierte Frau; und die Männer hatten wieder einmal alles unter Kontrolle!
Sexuelle Unabhängigkeit
Natürlich haben wir Männer Angst vor allzu selbstständigen Frauen. Sexualität, das bedeutet Macht. Oder anders ausgedrückt: Der Schritt weg vom Sex als biologische Notwendigkeit für Nachwuchs (und in weiter Folge für ein Mutterdasein) hin zu einer lustbejahenden und betonenden Sexualität bedeutet in erster Linie Machtverlust. Seit Jahrtausenden sagt das Patriarchat, wo’s langgeht! Es hat (männliche) Regeln geschaffen, Verhaltensmuster, auch (oder besser: vor allem) im erotischen Bereich. Jeder Versuch, aus diesem engen Netz auszubrechen, wurde sofort unterdrückt. Denn sexuelle Unabhängigkeit kann letztendlich auch gesellschaftliche Emanzipation bedeuten.
Gleichzeitig lässt uns die dämonische Kraft der Sexualität nicht in Ruhe und lässt uns auch nicht zur Ruhe kommen. Sie jagt den Männern Angst ein, denn wir können sie nicht beherrschen so wie den größten Teil der Natur, den wir bereits mit unserer (männlich dominierten) Technik kontrollieren. Die Lösung lag darin, eine Gegenwelt zu schaffen, in der wir eine idealisierte Vorstellung der Liebe, uneigennützig, vergeistigt, keusch und mütterlich initiierten. Diese Sichtweise wurde vor allem in der katholischen Kirche über alle Maße zum erklärten Ideal erhoben. Aber jede Münze hat zwei Seiten; die andere Seite der Verklärung ist die Verachtung der sexuellen Natur unseres Menschseins. Liebe und Sexualität müssen scheinbar getrennt erlebt werden.
Aber immer nur Hausmütterchen ist auf die Dauer auch ein wenig langweilig! Deshalb – und hiermit schließt sich der Kreis – suchen die Männer einen Ausweg aus ihrer eigenen Falle; sie fliehen vor Langeweile und Lustlosigkeit in die Arme einer Hure oder einer Geliebten.
Die heilige Hure bleibt allerdings eine Wunschvorstellung. Und, dem Himmel sei im Namen aller Männer herzlichstem Dank, die Geburt eines Kindes bedeutet nicht das Ende der Lust. Es bedeutet nur, man muss leise sein und sich beeilen!
Autor:in:
Zur Person Mag. Claudia Ohnesorg-Csik studierte Handelswissenschaften an der WU Wien. Ist Mutter von zwei Töchtern. Sie ist für die Online Redaktion zuständig und verantwortet die Social Media Präsenz. Aktuelle…