Mit der gewaltfreien Erziehung verhält es sich etwa so wie mit dem Weltfrieden. Niemand würde an einem Stehempfang damit punkten, zwischen Sekt und Brötchen gegen den Frieden in der Welt zu argumentieren. Klar, jeder will Frieden, keiner will Krieg.
Ein Vietnamveteran würde wohl etwas differenzierter argumentieren. Dazu kommt folgende Tatsache: Obwohl offenbar alle für den Weltfrieden sind, ist er bis heute nicht abzusehen. Für gewaltfreie Erziehung sind heute auch fast alle. Glücklicherweise gehört es nicht mehr zum guten Ton, die „gesunde Watschen“ ins Gespräch zu bringen. Besonders leicht lässt es sich für gewaltfreie Erziehung argumentieren, wenn man noch keine Kinder hat. Ich erinnere mich noch lebhaft, wie einfach ich mir das vorgestellt hatte: Liebevoller Umgang und klare Vereinbarungen, Räume öffnen und Grenzen setzen, gut Zuhören und genau erklären. Lieben, stützen und führen statt drohen, tarnen und täuschen. Da sind waren uns alle einig. Zumindest in der Theorie.
WIE SIEHT DIE REALITÄT AUS?
Der Elternalltag schaut leider etwas anders aus. Außer Sie gehören zu jener Randgruppe von Eltern, die von Natur aus brave Kinder haben – ja, es gibt sie tatsächlich. Der Löwenanteil ist mit Kindern konfrontiert, die es scheinbar darauf abgesehen haben, uns all die hehren Ideale auszutreiben. Sie bringen uns an unsere Grenzen, physisch wie psychisch, weil sie ihre eigenen Grenzen austesten müssen. Sie sind Argumenten nicht zugänglich, weil sie sie nicht verstehen können oder wollen. Sie schreien, sie toben, sie bewerfen dich mit Spielzeug, sie schlagen zu. Und wenn man gerade einen Zweijährigen mit dick geschwollenen Eckzähnen und akutem Schlafmangel bei sich zu Hause hat, kann man nach diesen Tobsuchtsanfällen die Uhr stellen.
Es sind solche Momente, in denen man hoffentlich auf eine ausgeglichene Persönlichkeit, ein gerüttelt Maß Geduld und eine gesunde Portion Wurschtigkeit zurückgreifen kann. Nur so kann es einem gelingen, entspannt abzuwarten, bis das Kind sich fertig ausgetobt hat, um dann ganz sachlich wieder zum Alltag überzugehen. Es braucht wohl auch eine gewisse Opferbereitschaft oder zumindest eine sehr biblisch verstandene Nächstenliebe, um nicht zurückzuschlagen, sondern die andere Wange hinzuhalten.
WO DIE GRENZEN SETZEN?
In manchen Fällen gilt es aber auch handfest einzugreifen. Natürlich werde ich mein Kind packen, wenn es auf die Straße zu laufen droht. Ich nehme es fest in die Hand, wenn es sich verletzen könnte. Ich mache ihm auch lautstark klar, dass ich es nicht akzeptiere, wenn es andere Kinder oder Erwachsene schlägt. Und wenn ein vor lauter Müdigkeit hysterisches Kind nicht in den Schlaf findet, kann ein fester Griff helfen. Mein Kind lernt so auch physisch seine Grenzen kennen, immer dann, wenn liebevolle Erklärungen nicht aufgenommen werden können. Gewaltfreie Erziehung ist das nicht, denn ich übe einen physischen Zwang auf mein Kind aus, wenn ich es daran hindere, zum fünften Mal aus dem Bett zu klettern. Es ist aber auch keine gewalttätige Erziehung, solange sich noch bei jeder dieser zum Glück nicht so häufigen Gelegenheiten mein elterliches Gewissen rührt und Packen, Festhalten oder Zerren die allerletzten Mittel sind. Und solange wir nach besten Wissen und Gewissen versuchen, solche Situationen gar nicht erst entstehen zu lassen.
NO GO ODER LETZTES MITTEL?
Habe ich deshalb Verständnis für Eltern, die ihre Kinder gelegentlich schlagen, quasi als aller-allerletztes Mittel? Auf keinen Fall. Gerade weil ich durchaus auch schon den Impuls in mir gespürt habe zurückzuschlagen. In diesen Momenten war es dann wichtig, die hehren Ideale oft durchdiskutiert, mit dem Partner vereinbart und verinnerlicht zu haben. Es muss einfach klar sein, dass kein Umstand der Welt es rechtfertigt, sein Kind zu schlagen. Das würde nur bedeuten, dass man den eigenen niederen Instinkten nachgegeben hat und einen tiefen Bruch im Vertrauen des Kindes zu den Eltern (und damit auch in seinem Vertrauen in die Welt) in Kauf nimmt. Dafür gibt es keine guten Gründe, schon gar keine erzieherischen.
Es ist wie beim Weltfrieden. Vielleicht wissen wir, dass er als Ideal nie ganz erreicht werden wird. Dennoch dürfen wir nie aufgeben, nach diesem hehren Ziel zu streben. Das zu tun würde heißen, eine Welt voller Kriege gutzuheißen. Oder eben Eltern, die ihre Kinder schlagen.
Autor:in:
Zur Person Mag. Claudia Ohnesorg-Csik studierte Handelswissenschaften an der WU Wien. Ist Mutter von zwei Töchtern. Sie ist für die Online Redaktion zuständig und verantwortet die Social Media Präsenz. Aktuelle…