Warum ist die Beziehung zwischen Großeltern und Enkelkindern so wichtig?
Meist trennen sie Jahrzehnte, und gemeinsame Interessen und Bedürfnisse sind auf den ersten Blick schwer zu erkennen. Trotzdem sind Oma und Opa für die Jüngsten Bezugspersonen von unschätzbarem Wert. Mit Sabine Buchebner-Ferstl, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Österreichischen Institut für Familienforschung (ÖIF), haben wir uns über eine ganz besondere Bindung unterhalten.
Über Generationen hinweg
Der kleine Andi aus Mira Lobes Klassiker “Die Omama im Apfelbaum” hat keine Großeltern mehr. Er kann sich nicht einmal an sie erinnern. Und weil ihn das sehr traurig macht, denkt er sich eine Oma aus. Eine flotte, unkonventionelle, jung gebliebene, mit Hut und elegantem Kleid. Eine, die mit ihm in den Prater geht, Ringelspiel fährt und in der Steppe Wildpferde fängt. Eine, die erlaubt, was die Eltern verbieten, und die sich nicht um Regeln schert. Und das ist auch gut so. Schließlich haben Oma und Opa einen ganz entscheidenden Vorteil: Ihnen gehören – auch wenn sie Betreuungsverantwortung übernehmen – vor allem die Freizeit, das Vergnügen, die Ausgelassenheit, während die Eltern sich um die Mühen des Alltags kümmern: Vokabeln ausfragen, Streit ums Zähneputzen, ekliges Gemüse schmackhaft machen. All das haben die Großeltern bereits hinter sich gelassen und bei den eigenen Kindern mehr oder weniger erfolgreich überstanden. Bei den Enkelkindern heißt es in erster Linie: genießen!
Zwei Welten vereint?
Was sich vor allem genießen lässt, ist viel gemeinsame Zeit. Sind die Großeltern schon in Pension, haben sie meist reichlich davon und dadurch die Chance, sich wirklich auf die Enkelkinder einzulassen. Kleine Kinder kennen keine Uhren und brauchen Erwachsene, die ohne Termindruck mit ihnen die Natur entdecken, Kuchen backen, Bausteine schlichten, entspannt vorlesen. Werden die Kinder größer, dann haben Oma und Opa mitunter mehr Geduld, bei Hausaufgaben zu helfen oder Plakate fürs Referat zu basteln. “Egal in welchem Alter die Kinder sind – durch dieses Mehr an freier Zeit können Großeltern einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung leisten und wertvolles Alltagswissen vermitteln”, erklärt Sabine Buchebner- Ferstl. Dass ihr Blick auf die Welt aufgrund der so unterschiedlichen Lebenserfahrung ein gänzlich anderer ist, ist aus der Sicht der Wissenschaftlerin ein enormer Gewinn: “Wenn Oma und Opa aus der eigenen Kindheit erzählen, dann lernen Kinder eine Realität kennen, die ganz anders ist als ihre eigene. Nehmen wir beispielsweise die technische Entwicklung. Eine Welt, in der es kein Internet gab und kein Smartphone, in der ein Schwarz-Weiß-Fernseher mit zwei Programmen schon eine Errungenschaft war, das ist für Kinder heute nahezu unvorstellbar. Sich damit aber aktiv auseinanderzusetzen schärft die soziale und emotionale Intelligenz.”
Vertrauen haben
Was Kinder sehr schnell lernen, sind unterschiedliche Haltungen. Eine Oma, die viel Wert auf Höflichkeit legt, dafür aber großzügiger mit dem Handykonsum ist als der Papa. Ein Opa, der Unterstützung beim Tischabräumen einfordert, aber kein Problem mit der dritten Kugel Eis hat. Dass Eltern und Großeltern unterschiedliche Vorstellungen haben, was geht und was nicht, liegt in der Natur der Sache und ist an sich völlig normal. “Oft werden Unverhältnismäßigkeiten unbewusst ausgeglichen. Agieren die Eltern eher streng, sind die Großeltern betont locker – und umgekehrt. Zum Problem wird das erst, wenn Grenzen überschritten und mit Absicht Regeln, die den Eltern wichtig sind, nicht eingehalten werden, um die Gunst der Kinder zu erkaufen”, betont Buchebner-Ferstl. Wenn Eltern völlig anders erziehen, als sie selbst erzogen worden sind, dann kann dies als Kritik aufgefasst werden im Sinne von: “Wie du es mit mir gehandhabt hast, das war nicht gut.” Daher ist eine halbwegs stabile, vertrauensvolle Beziehung zwischen Großeltern und Eltern auf alle Fälle notwendig, ebenso wie eine offene Kommunikationskultur. Es braucht gegenseitige Toleranz und die Gewissheit, negative Dinge ansprechen zu können. Natürlich kommt Großeltern auch eine Funktion als RatgeberInnen zu, wenn es zu Hause zwischen Eltern und Kindern kracht: eine Rolle, die sehr viel Sensibilität erfordert. Die Geburt eines Kindes birgt die große Chance, Neo-Eltern und Neo-Großeltern wieder näher zusammenzubringen. Nicht zu vergessen ist auch der finanzielle Aspekt. Ob den Enkelkindern hie und da Eisgeld zugesteckt, vielleicht sogar das Sparschwein regelmäßig gefüttert wird oder ob die Eltern beim Wohnungskauf unterstützt werden: Auch wenn es wenig romantisch klingt – Geldgeschenke sind eine Hilfe. Vor allem dann, wenn sie nicht mit konkreten Erwartungen verknüpft sind.
Welche sind die Vorteile für die Großeltern?
Einen enormen Nutzen aus einer stabilen Großeltern-Enkelkinder- Beziehung ziehen nicht nur die Kleinen. “Obwohl wir immer später Eltern werden, steigt die Anzahl an gemeinsamen Jahren für Kinder und Großeltern. Das war nicht immer so. Erst seit rund 100 Jahren verbringen diese beiden Generationen überhaupt zusammen Lebenszeit, was der gesteigerten Lebenserwartung zu verdanken ist”, betont Sabine Buchebner-Ferstl. Auch wenn die Großeltern älter sind, sind sie häufig fitter, psychisch und physisch. Und genau in diesen beiden Bereichen werden sie gefordert. “Grundsätzlich stehen die meisten Großeltern heute noch mitten im Leben, haben Interessen, Hobbys, einen Beruf. Sie sind nicht einsam und isoliert. Und doch gehen die sozialen Kontakte mit der Pensionierung zurück, stirbt vielleicht sogar der Partner und Enkelkinder sind neue soziale Ressourcen, wie auch der bereits erwähnte intensivierte Kontakt zu den eigenen Kindern”, erläutert Buchebner-Ferstl. Sinnstiftend und überaus bereichernd ist es, noch einmal bewusst mitzuerleben, wie ein kleiner Mensch aufwächst, nachzuholen, was man bei den eigenen Kindern vielleicht versäumt hat. Was Großeltern leisten, ist eine enorm wertvolle Aufgabe, und zu spüren, wie sehr man gebraucht wird, kann ungemein beglückend sein. “Sich um Kinder, vor allem um kleine, zu kümmern ist geistig und körperlich sehr fordernd und hält jung. Der natürliche Bewegungsdrang tut der großelterlichen Fitness gut, sie müssen wach und aufmerksam agieren.” So beschreibt die Wissenschaftlerin dieses anspruchsvolle “Jobprofil”.
Fels in der Brandung:
Großeltern bereichern das Leben ihrer Enkel und entlasten deren Eltern
Dream-Team:
Der Kontakt zu ihren Enkeln hält die Großeltern jung, die Kinder profitieren von Geduld und Lebenserfahrung von Oma und Opa.
Nicht permanent auf Abruf?
Auch wenn Großeltern über ein großes Zeitbudget verfügen, eines wollen vor allem Frauen nicht: wieder in die Rolle der sich selbstlos Aufopfernden geraten. “Man legt heute viel mehr Wert auf ein selbstbestimmtes Leben. Obwohl eine Studie aus dem Jahr 2014 besagt, dass Großeltern – noch vor Kindergarten & Co (!) – europaweit die wichtigste Form der nichtelterlichen Kinderbetreuung darstellen, beruht das in der Regel auf Freiwilligkeit”, informiert Sabine Buchebner-Ferstl. Eine Studie des ÖIF zeigt, dass 45% der Eltern mit einem Kind unter sechs Jahren mehrmals monatlich Hilfe von den Großeltern bekommen, bei 20% ist das sogar mehrmals wöchentlich der Fall. Während Frauen sich mehr abgrenzen, ergibt sich für Männer folgender Lerneffekt: Der Umgang der Söhne und Schwiegersöhne mit ihrem Nachwuchs zeigt, dass sich die modernen Rollenbilder in eine andere Richtung entwickeln. Diese Bereitschaft zum Perspektivenwechsel, zu Offenheit, Toleranz und ehrlichem Interesse am anderen ist der wichtigste Grundstein für eine gelungene Großeltern-Enkelkinder-Beziehung. Und diese kann bis weit über das Kleinkindalter hinaus bereichernd und freudvoll bleiben.
BUCHTIPPS:
Lena Anderson:
Rosa und Oma,
Aladin
ISBN 978-3-8489-0087-9,
ab 2 Jahren
Alltagsgeschichten mit Oma und Rosa Rosa und Oma sind ein tolles Gespann. Voller Vorfreude starten sie gemeinsam in den Tag. Ob Oma gerne noch etwas länger geschlafen hätte? Jetzt sind beide jedenfalls putzmunter, quatschen beim Frühstück und schon stehen jede Menge Erledigungen auf dem Programm. Vom Haare-Kämmen bis zum Einkaufen, vom Geschichten-Vorlesen bis zum Kochen. In diesem Pappbilderbuch führt die schwedische Autorin Lena Anderson die Allerkleinsten durch einen Tag, der nicht spektakulär ist, aber durch die Freude und den liebevollen Umgang der beiden Protagonistinnen miteinander zu etwas Besonderem wird. Schauerlebnis für Großeltern und Enkelkinder!
Mira Lobe, Susi Weigel:
Die Omama im Apfelbaum
Jungbrunnen 2020 (33. Auflage)
ISBN 978-3-7026-4000-3
ab 8 Jahren
Autor:in:
Zur Person Mag.a Mirjam Dauber ist Lehrerin, freie Journalistin und Rezensentin. https://blaetterwald.at/ Aktuelle Artikel