Manchmal sind es die Erzieherinnen, die Alarm schlagen. Manchmal fällt den Eltern aber auch selbst auf, dass ihr Kind „irgendwie anders“ ist. Begabungen zu erkennen ist nicht so einfach. Und der Weg, der danach gegangen wird, ist mitunter noch steiniger. Ein Wegweiser mit Informationen und Tipps!
Lange Zeit wurde ein hoher Intelligenzquotient als Zeichen einer Hochbegabung gesehen. Aktuelle Erkenntnisse lassen aber darauf schließen, dass Begabung weitaus vielschichtiger ist und auch nichtintellektuelle Bereiche umfasst. Besonders der Begriff Kreativität rückt dabei ins Zentrum. Damit sind nicht nur kreative Prozesse in den Bereichen Kunst oder Musik gemeint. Kreativität kommt überall dort zum Vorschein, wo abseits des Mainstreams neue Denkwege in Gang gesetzt werden und Veränderungen bewirken.
(Hoch-)Begabung ist also wandelbar und hängt von der gesamten Persönlichkeit des Menschen sowie von seiner Umgebung ab.
Rollenspezifische Erwartungshaltungen in der Gesellschaft beeinflussen Begabungen zudem deutlich. Gerade in den Naturwissenschaften, in Mathematik, Informatik und Technik werden herausragende Leistungen von Mädchen häufig ihrem Fleiß zugeschrieben, wird eine mögliche Begabung auf diesen Gebieten übersehen. Nicht geförderte Begabungen verkümmern aber mit der Zeit. Daher ist es wichtig, diesbezüglich bereits früh anzusetzen!
Wie kann man begabte Kinder erkennen?
Hochbegabung zu erkennen ist angesichts der vielen Definitionen ein schwieriges Unterfangen. Dazu kommt, dass Ergebnisse von Intelligenztests im frühen Kindesalter kaum Bedeutung haben, sind doch Entwicklungsvorsprünge und -rückstände sehr variabel.
Ausreichend stabil im Sinne der validen Messbarkeit werden Testergebnisse erst ab einem Alter von etwa sieben Jahren. Das trifft auch für weitere Begabungsaspekte zu. Die künstlerische, motorische und praktische Begabung verändert sich im frühen Kindesalter stark. Eine Begabungsdiagnostik sollte also immer zeitnah zur relevanten Entscheidung – zum Beispiel über den weiteren Schulverlauf des Kindes – stattfinden.
Bestimmte Merkmale, die auf eine (Hoch-)Begabung hinweisen können:
- die Fähigkeit, Neues schnell zu erfassen
- die Fähigkeit, neues Wissen mit bereits Bekanntem zu vernetzen
- eine gute Merkfähigkeit
- ein großer Wortschatz
- Neugier und Wissensdurst (das Kind stellt viele Fragen und möchte sich in Themengebiete vertiefen)
- das Bestreben, eigene Wege zu gehen (besonders begabte Kinder erledigen Aufgaben oft auf ungewöhnliche und nicht vorgegebene Art)
- die Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen
- logisches und unabhängiges Denken
Vom begabten unterforderten Kind…
Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass Kinder mit einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS oder ADHS) besonders intelligent seien.
ADS oder ADHS gehen mit einer Störung der Wahrnehmungsverarbeitung und einer verminderten Fähigkeit der Selbstregulation einher. Kognitiv besonders begabte Kinder verfügen jedoch über eine bessere Konzentrations- und Aufmerksamkeitsspanne als andere Kinder. Demnach schließt ADS oder ADHS kognitive (Hoch-)Begabung aus.
Das Problem ist, dass besonders intelligente Kinder aufgrund ihrer Persönlichkeitsmerkmale und ihres Enthusiasmus oft eine falsche Diagnose erhalten und als aufmerksamkeitsgestört eingestuft werden. Manche begabten Kinder fühlen sich unterfordert und äußern ihren Unmut durch problematisches Verhalten. Hier hilft es vor allem, das Kind zu beobachten und auch das nähere Umfeld darum zu bitten. In welchen Situationen fällt das Kind auf? Welche äußeren Ereignisse machen es unrund? Aber auch: Wann zeigt das Kind problematische Verhaltensweisen nicht?
Vorzeitige Einschulung: Wann sinnvoll?
Oft werden (hoch-)begabte Kinder bereits im Kindergartenalter auffällig. Wenn Sie den Eindruck haben, dass sich Ihr Kind im Kindergarten langweilt, und zu befürchten ist, dass es bei regulärer Einschulung unterfordert wäre, gibt es einen großen Handlungsspielraum.
Vom Gesetz her dürfen Kinder bereits vor der Schulpflicht eingeschult werden, wenn sie bis 1. März des darauffolgenden Kalenderjahres das sechste Lebensjahr vollenden. Allerdings sollte Ihr Kind körperlich, sozial und emotional altersgerecht entwickelt sein.
Streben Sie eine vorzeitige Einschulung an, informieren Sie sich bitte über die in Ihrem Bundesland geltende Frist für die Schuleinschreibung. Ihr Ansuchen müssen Sie innerhalb dieser Frist bei der Leitung der zukünftigen Volksschule Ihres Kindes einbringen. Es folgen dann ein schulärztliches sowie, falls von der Schulleitung gewünscht und von den Eltern bewilligt, ein schulpsychologisches Gutachten.
Mit einem Sprung in die nächste Klasse?
Generell ist eine vorzeitige Einschulung für das Kind weniger belastend, als es später aus seiner Klassengemeinschaft zu reißen und es eine Schulstufe überspringen zu lassen. Davon sollte abgesehen werden, wenn dem Kind innerhalb seiner Klasse individuelle Fördermaßnahmen zukommen können. Erst wenn es trotzdem unterfordert erscheint, kommt das überspringen einer Schulstufe infrage.
Das muss das Kind aber von sich aus wollen. Zeigen sich die überdurchschnittlichen Fähigkeiten vorwiegend in einem Fachgebiet und ist das Kind stark verhaltensauffällig, wird es mit den Herausforderungen, die das überspringen mit sich bringt, vielleicht nicht umgehen können. Denn zunächst kommen viele Veränderungen auf das Kind zu. Es muss sich in einer neuen Klassengemeinschaft integrieren – was durch den „Sonderstatus“ nicht einfach ist – und den Lernstoff des übersprungenen Jahrgangs nachholen.
Mitunter dauert das eine Weile und Ihr Kind muss lernen, möglicherweise nicht herausragende Leistungen zu akzeptieren. Lassen Sie sich auch von den Lehrkräften Ihres Kindes beraten. Vom Gesetz her darf der Besuch der Volksschule nicht weniger als drei Jahre dauern. Das bedeutet, dass in dieser Zeit nur ein Mal überspringen möglich ist.
Auch wesentlich: Das überspringen hat in Österreich keinen Einfluss auf die allgemeine Schulpflicht von neun Jahren. Diese muss in jedem Fall erfüllt werden. In der gesamten Schullaufbahn darf maximal drei Mal übersprungen werden, und das in höheren Schulen stets nur unter der Voraussetzung, dass das Kind in den Pflichtgegenständen jeweils die höchste Leistungsgruppe besucht.
Begabungsförderung notwendig?
Auch außerschulisch gibt es in allen österreichischen Bundesländern viele Möglichkeiten, begabte und interessierte Kinder zu fördern, zu einem großen Teil in den Ferien (siehe Kästchen „Interesse an mehr?“). Die Klassenlehrerkraft Ihres Kindes kann auch über Wettbewerbe informieren, an denen Schülerinnen und Schüler einzeln (z. B. „Känguru der Mathematik“, „Leonardino“) oder im Klassenverband (zum Beispiel „Biber der Informatik“, „Mission X“) kostenlos teilnehmen.
Angst vor falschen Entscheidungen?
Wenn Eltern vermuten, dass ihr Kind besonders begabt ist, kann sie das überfordern. Schließlich wollen sie das Beste für ihr Kind und haben Angst vor falschen Entscheidungen. Eine psychologische Untersuchung und Beratung kann da Unterstützung geben!
Seien Sie offen dafür, sollte sich Ihr Kind bereits vor Schulstart für Zahlen und Buchstaben interessieren. Solange das Interesse vom Kind ausgeht, dürfen Sie diesen Wissensdurst auch stillen. Besonders begabte Kinder verlieren nämlich bisweilen die Lust am Lernen, wenn sie immer auf die Schule vertröstet werden.
Achten Sie sensibel auf die Bedürfnisse Ihres Kindes und lassen Sie sich nicht von gut gemeinten Ratschlägen verunsichern.
Und vor allem: Vertrauen Sie darauf, dass Sie die richtigen Entscheidungen treffen.
Wie Sie Begabungen im Alltag fördern können?
- Überprüfen Sie regelmäßig das Spielzeug Ihres Kindes und entfernen Sie, was es bereits langweilt.
- Achten Sie beim Kauf darauf, dass das Spielzeug viele verschiedene Möglichkeiten bietet, sich kreativ damit zu beschäftigen. Je nach Alter des Kindes können Sie auch alte Haushaltsgeräte, eine Kiste mit Korken, alte Bücher, Papier und Kartons zur Verfügung stellen.
- Binden Sie Ihr Kind möglichst oft in Alltagsaufgaben ein. So können Sie es zum Beispiel bereits vor dem Einkauf zu Hause fünf Dinge zeichnen lassen, die es später mithilfe der eigenen „Einkaufsliste“ im Supermarkt selbstständig holt. Oder Sie machen ein Merkspiel daraus und geben Ihrem Kind im Supermarkt fünf Dinge vor, die es nacheinander holen soll.
- Nehmen Sie Ihr Kind bereits früh in die Bücherei mit und lassen Sie es Bücher auswählen, die seinem Interesse entsprechen.
- Wenn sich Ihr Kind bereits für Buchstaben interessiert, aber noch grafomotorische Schwierigkeiten hat, bieten Sie ihm einen Buchstaben-Setzkasten an. Es gibt sie in magnetischer Ausführung, was Frustrationen erspart.
- Sagen Sie Ihrem Kind oft, dass Sie es lieben – und zwar unabhängig von seinen (kognitiven) Leistungen. Gönnen Sie sich in der Familie auch Zeiten der Entspannung und Langeweile!
- Seien Sie ein Vorbild für Ihr Kind, indem sie ihm zeigen, dass Sie Ihre eigenen Fähigkeiten, Begabungen und Interessen pflegen. Ihr Kind lernt viel, in dem es beobachtet, wie Sie auf Neues zugehen und mit Herausforderungen umgehen.
Außerschulische Förderangebote
Sommerakademie Semmering, Niederösterreich
- Mathematische, wissenschaftliche und künstlerische Kursangebote für begabte Kinder ab der 4.Klasse Volksschule.
- Nähere Informationen: www.bildung-noe.gv.at
Talentezentrum Göttweig, Niederösterreich
- Kurse ab der 4. Klasse Volksschule, z. B. „Interessante Herausforderungen für kleine Mathematik-Asse“.
- Nähere Informationen: www.bildung-noe.gv.at
Talentegarten, Mödling, Niederösterreich
- Kursangebote, Vernetzung mit Eltern (hoch-)begabter Kinder, Informationen zum Thema Begabung.
- Nähere Informationen: www.talentegarten.at
Tacata, Radstadt, Salzburg
- Dreitägige Workshops für besonders begabte Kinder der 3. und 4. Schulstufe in Salzburg.
- Nähere Informationen: www.tacata.at
Active Coding Week, Steiermark
- Programmieren für interessierte Kinder ab 7 Jahren.
- Nähere Informationen: talentcenter.at
ProTalent, Steiermark
- Informationen für Eltern, Lehrpersonen und Erzieher begabter Kinder sowie Projektwochen für Sieben- bis 17-Jährige.
- Nähere Informationen: www.pro-talent-stmk.at
JKU Cool Mini Club und Regionalakademie, Oberösterreich
- Kurse zu den MINT-Bereichen ab der 3. Schulstufe.
- Nähere Informationen: www.talente-ooe.at
Kinder Sommer Uni, Innsbruck
- Kurse, Workshops und Exkursionen.
- Nähere Informationen: www.uibk.ac.at
Autor:in:
Zur Person Marion Brugger ist ausgebildete Kindergartenpädagogin, Horterzieherin und Volksschullehrerin. Außerdem ist sie Verfasserin eines Buches zum Thema Begabungsförderung. Sie hat eine Tochter und unterrichtet an einer Volksschule in Wien.…