Rückwärtsgehen, auf einem Bein stehen, eine Rolle vorwärts machen – viele Kinder haben bei der Ausführung dieser Aufgaben Schwierigkeiten. Ist unsere jüngste Generation nicht mehr fit genug? Wir haben uns auf die Suche nach Antworten auf diese Frage begeben
Maximilian strauchelt. Seine Arme schlenkern beim Laufen hin und her und manchmal sind ihm sogar seine eigenen Füße im Weg. Seine Lehrerin kennt das Problem auch von anderen Kindern. „Was meinen Sie, wie viele Volksschulkinder heute große Schwierigkeiten dabei haben, einfach nur rückwärts zu gehen? Koordinative übungen sind für die meisten meiner Schüler und Schülerinnen eine Herausforderung“, erzählt sie kopfschüttelnd Maximilians Eltern. „Subjektiv ergibt sich ein ähnliches Bild“, bestätigt Kinderund Sportarzt Dr. Holger Förster. Tatsache ist, dass die Schauplätze der Bewegung sich verändert haben. Wurde früher häufig in der Natur geturnt und gespielt, findet Sport heute – außer in Zeiten von Corona, wo das nicht gestattet ist- mehr an Schulen und in Vereinen statt – und das hat Folgen.
Im Kindes- und Jugendalter ist der Sport in Vereinen oder in den Schulen eine gute Option, wenn ansonsten auf körperliche Ertüchtigung verzichtet wird, was aber auch gerade in Zeiten von Corona schwierig ist. Und was passiert, wenn die jungen Erwachsenen den Schulabschluss hinter sich haben und den Alltag in Büros oder geschlossenen Räumen verbringen? Bewegungsarmut ist eine der möglichen Folgen.
Über 60 Prozent der Erwachsenen sind davon und von den gesundheitlichen Folgeschäden betroffen. Eine weitere mögliche Konsequenz unserer Isolation in den vier Wänden ist Kurzsichtigkeit. Nur durch ausreichende Exposition gegenüber hellem Tageslicht wird verhindert, dass der Augapfel zu sehr in die Länge wächst, was Kurzsichtigkeit zur Folge hat.
Wie sehr sich mangelnder Aufenthalt im Freien auf unsere Gesundheit auswirkt, zeigt sich unter anderem daran, dass die WHO „Kurzsichtigkeit“ zum globalen Gesundheitsproblem erklärt hat. Ziel wäre es also, dem Nachwuchs möglichst früh die Freude an vielfältiger Bewegung zu vermitteln, am besten in der Natur und fern aller Smartphones und Tablets. Die Zeit, die wir und unsere Kinder im Freien verbringen, tut dem gesamten Körper gut. Pflanzen wirken sich positiv auf das Herz-Kreislauf-System aus. Besonders gesundheitsfördernd soll der Aufenthalt im Wald sein.
Verbinden Sie die Bewegung im Freien mit Sinneserfahrungen:
- Führen Sie Ihr Kind zum Beispiel mit verbundenen Augen zu einem Baum, den es aufmerksam mit Tast- und Geruchssinn wahrnehmen kann. Später soll Ihr Kind den Baum mit geöffneten Augen wiederfinden.
- Sammeln Sie Stöcke, Zapfen, Gräser, auf denen Ihr Kind barfuß laufen kann. Nutzen Sie den unebenen Waldboden, Wurzeln und Steine als Hindernislauf.
- Lassen Sie Ihr Kind Rindenstücke, große Blätter und Stöcke suchen und bauen Sie daraus gemeinsam eine Kugelbahn.
Bewegung in der Natur kann nicht nur spannend, sondern auch kreativ sein. Sie werden überrascht sein, wie viele Ideen Ihr Kind ganz von alleine entwickelt.
Macht Sport schlau?
Bewegung tut nicht nur unserem Körper gut. Regelmäßiger Sport begünstigt den Gehirnstoffwechsel, wie zuletzt eine eindrucksvolle Studie unter Beweis stellen konnte. Das Gehirn wird damit aufnahmefähiger und kann Lerninhalte besser speichern. Wer sich bewegt, regt mehrere Gehirnfunktionen gleichzeitig an. Sport sorgt für eine bessere Durchblutung und führt zur Bildung neuer Zellen und Synapsen. Dadurch wird die geistige Leistungsfähigkeit unterstützt.
Hier setzen pädagogische Konzepte wie Bewegtes Lernen an. Doch lernt ein Kind tatsächlich in der Bewegung effektiver als im Sitzen?
Dr. Förster: „Ich würde nicht sagen, in der Bewegung, sondern durch die Bewegung. Wir können immer nur eine Sache konzentriert machen, alles andere läuft als mehr oder weniger gut funktionierender Automatismus ab. Gehen ist meist gut koordiniert und benötigt wenig aktive Steuerung, Laufen wird schon schwieriger. Koordinative Übungen durchführen und gleichzeitig Rechenaufgaben lösen geht gar nicht“
Für die Praxis mit Ihrem Kind ergibt sich daraus folgender Tipp: Gehen Sie zuerst gemeinsam eine Runde joggen, bevor sich Ihr Kind mit den Hausaufgaben beschäftigt.
Der beste Sport für Ihr Kind
Vielfältige Bewegungserfahrungen macht Ihr Kind besonders bei Sportarten, die den gesamten Körper fordern. Judo, Rhythmische Gymnastik, Klettern, Turnen oder Tanzen zum Beispiel eignen sich auch schon für jüngere Kinder, die in normalen, Nicht-Corona-Zeiten, oft in den Schulen angeboten werden. In der Freizeit kann man gemeinsam aktiv werden. Eine Schnitzeljagd auf einer großen Wiese oder ein Orientierungslauf im Wald – je unebener der Grund (der im Idealfall auch durch Barfußlaufen erfahrbar wird), desto mehr wird die Fußmuskulatur gestärkt. Zum Training mit dem Kind rät Sportmediziner Förster Reize zu setzen, die etwas über dem Alltagsniveau des Kindes liegen. „Gut für Kinder und auch Erwachsene ist immer ein Wechsel der Belastungen“, so Förster. Achten Sie dabei aber auf die Bedürfnisse Ihres Kindes, denn Unfälle passieren meist dann, wenn das Kind überfordert oder übermüdet ist.
Koordinative Übungen und Spiele
Die Koordinationsfähigkeit Ihres Kindes können Sie im Alltag gut trainieren.
- Ihr Kind kann über Baumstämme balancieren oder über ein zusammengerolltes Handtuch, das Sie auf den Boden legen.
- Laufen Sie gemeinsam rückwärts und lassen Sie Ihr Kind den Einbeinstand einmal auf einer Wärmflasche ausprobieren.
- Beliebt ist auch das Spiel „Socken zocken“: Stellen Sie eine Box mit kleinen Gegenständen bereit, die sich mit den Zehen greifen lassen. Das können zum Beispiel Socken, Tücher, Löffel, Pixi-Büchlein, Murmeln oder Holzklötze sein. Ihr Kind soll nun die Gegenstände nur mit den Zehen greifen und zu einer weiteren Box transportieren. Nach einigen Probedurchgängen stoppen Sie die Zeit und treten gegen Ihr Kind an. Wetten, dass sich bald auch Ihre Koordination verbessert?
Autor:in:
Zur Person Marion Brugger ist ausgebildete Kindergartenpädagogin, Horterzieherin und Volksschullehrerin. Außerdem ist sie Verfasserin eines Buches zum Thema Begabungsförderung. Sie hat eine Tochter und unterrichtet an einer Volksschule in Wien.…