Jeder hat sie: die Seite, mit der alles besser gelingt, vor allem das Schreiben. Bei den meisten Menschen ist es die rechte Hand, die von der linken Hirnhälfte gesteuert wird. Aber es geht auch andersherum. Wie man in einer rechtshändig dominierten Gesellschaft mit der Begabung der Linkshändigkeit umgeht, hat uns Mag. Andrea Hayek- Schwarz vom Verein LinkeHand verraten.
RECHTS ODER LINKS?
Die Händigkeit ist angeboren, verantwortlich für die Ausprägung sind mehrere Gene. Allerdings müssen Eltern genau hinschauen, um zu erkennen, welche Hand das Kind bevorzugt. Die Gefahr der „sanften Anpassung“ durch Nachahmung, Beeinflussung und ergonomische Gegebenheiten, z. B. eine Trinkbecherhalterung auf der rechten Seite von Kinderstühlen, ist nämlich nicht zu unterschätzen. Sie beginnt oft schon um den ersten Geburtstag herum, besonders was den Gebrauch von Besteck und Stiften betrifft.
HINWEISE AUF DIE DOMINANTE HAND
Beobachten Sie, mit welcher Hand das Kind nach Gegenständen greift, die für beide Hände gleich gut erreichbar sind, mit welcher Hand es spontan winkt, zeigt und grüßt, Bausteine und Spielfiguren bewegt oder Spielautos anschiebt. Welche Hand lernt früher den „Pinzettengriff“?
NEUTRALITÄT UND WAHLFREIHEIT
Bis die Händigkeit des Kindes klar ist, sollten Sie alles vermeiden, was das Kind in der freien Wahl der Hand einschränkt. Legen Sie Besteck mittig auf den Teller und reichen Sie dem Kind Gegenstände zur Körpermitte hin, damit es selbst entscheiden kann, mit welcher Hand es greifen will. Akzeptieren Sie unkommentiert die rechte wie linke Hand beim Grüßen und verlangen Sie das auch von allen anderen Bezugspersonen. Wenn Sie Handlungsabläufe üben, bieten Sie beide Varianten an.
HÄNDIGKEIT UND GEHIRN
Bewegungsplanung, Koordination und Ausführung sind ein vielschichtiger Vorgang und stellen hohe Anforderungen an das Gehirn. Wichtig zu wissen ist, dass die dominante Hand von der gegenüberliegenden Gehirnhälfte gesteuert wird, bei Linkshändern von der rechten Gehirnhälfte. Eine einfache „Umpolung“ ist nicht möglich. Beim Schreiben verschärft sich die Situation nochmals.
- Mag. Hayek-Schwarz: „Das Schreiben ist ein hochkomplexer Vorgang, der zerebrale Fertigkeiten wie Feinmotorik, Sprache, bildliche Vorstellung, Buchstabenabfolgen, Gedankenketten, Erinnerungs- und Gedächtnisleistungen erfordert. Schreiben LinkshänderInnen mit der rechten Hand (oder RechtshänderInnen mit der linken), so kommt es im Gehirn zu einer überbelastung der nicht dominanten Gehirnhälfte und zu einer Unterbelastung der anderen Gehirnhälfte. Unnötig viele Informationen laufen über den Verbindungsbalken (Corpus callosum), der so gewissermaßen eine Engstelle im Gehirn darstellt. Die Bewegungsimpulse der linken Hand müssen kategorisch unterdrückt werden, damit wird auch die rechte Gehirnhälfte lahmgelegt und ihr kreatives Potential steht nicht mehr zur Verfügung. Der sprichwörtliche „Knoten im Gehirn“ entsteht.“
Dadurch können Umschulungsfolgen wie Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme bis hin zu ADHS (Aufmerksamkeitsdefizits- und-Hyperaktivitätssyndrom, Zappelphilipp-Syndrom) auftreten.
RÜCKSCHULUNG
Aber es gibt Hoffnung – mit ein wenig Geduld und viel fachlichem Know-how lässt sich die Umschulung durch eine „Rückschulung“ wieder aufheben und das Kind kann sein volles Potential ausleben. Als erster Schritt wird geklärt, ob das Kind tatsächlich linkshändig ist oder die Probleme eine Feinmotorikstörung als Ursache haben. Ist das Kind linkshändig, steht als nächstes ein einfühlsames Gespräch mit dem Kind an.
- Mag. Hayek-Schwarz: „Ich erkläre dem Kind z.B., dass wir jetzt wieder mit seiner Königshand, die alles besser kann, arbeiten.“ Entscheidend ist, dass das Kind motiviert ist. Das Schreiben mit der linken Hand beginnt mit dem Erlernen der entspannten Schreibhaltung, gefolgt von Schwungübungen. Volksschulkinder brauchen ein paar Monate, um mit der „Chefhand“ schreiben zu können. Grundsätzlich ist ein Schreibhandwechsel ein Leben lang möglich. Erwachsene brauchen allerdings länger um eine hohe Schreibgeschwindigkeit zu erreichen. Mag. Hayek-Schwarz: „Erfahrungsgemäß werden durch diesen Prozess viele positive Energien frei.“
BEIDHÄNDIGKEIT
Beidhändigkeit ist übrigens ein Mythos, so Hayek-Schwarz. „In Wirklichkeit handelt es sich um „versteckte“ d.h. umgeschulte Linkshänder oder um Menschen mit einem neurologischen Problem.“
STATISTIK- WIE VIELE LINKSHÄNDER GIBT ES?
„Offiziell“ ist 10 bis 15 Prozent der Gesamtbevölkerung Linkshänder, aber die Dunkelziffer ist infolge der Umschulungen sehr hoch. Mag. Hayek-Schwarz: „Viele Fachleute gehen mittlerweile von 30 Prozent aus.“
WIESO WURDEN LINKSHÄNDER LANGE DISKRIMINIERT?
Eine Weltsicht nach einem strikten Schwarz-Weiß-Schema war lange weit verbreitet und wirkt bis heute nach. „Rechts“ war die gute Seite, „links“ war böse, schlecht und ungeschickt. Immer noch gibt es abwertende Wendungen wie z.B. „Das mache ich ja mit links“ oder „Eine linke Sache“.
EINE AUSWAHL DER ANZEICHEN FÜR EINE ERZWUNGENE UMSCHULUNG
IM KINDERGARTENALTER
- Gegenstände (z. B. Buntstifte) werden mit der linken Hand genommen und an die rechte Hand weitergereicht
- Vermeiden von Zeichnen und Basteln sowie von komplexen feinmotorischen Tätigkeiten (Masche binden, Karten mischen …) oder das gleiche Motiv wird monatelang immer wieder gemalt
- das Kind braucht lange bei Tätigkeiten wie Essen, Anziehen… oder es ist ungeschickt dabei
- Schreiben in Spiegelschrift – Arbeitsrichtung von rechts nach links
- große körperliche Anspannung beim Agieren mit der rechten Hand
- Wutanfälle, weil etwas nicht so gelingt wie geplant
- Sprachstörungen wie Stottern, die plötzlich auftreten und nach einiger Zeit auch wieder vergehen
- Stresssymptome wie Nägelkauen, Bettnässen, Alpträume, Ticks wie Augenzwinkern, Schniefen etc.
IM VOLKSSCHULALTER HÄUFIG ZUSÄTZLICH
- Schwierigkeiten beim Schreiben lernen
- großer Schreibdruck
- die Hand tut schnell weh
- unregelmäßige Schrift
- Schreibunlust
- die Schrift ist schön, aber das Schreiben dauert sehr lange
- Probleme die an Legasthenie erinnern
- bei Diktaten vor allem Auslassungsfehler, die mit steigender Textmenge mehr werden
Quelle: linkshaender-beratung
Infos:
Verein zur Förderung linkshändig begabter Menschen
Autor:in:
Zur Person: Mag. Elisabeth Sorantin hat Sprach- und Literaturwissenschaften studiert und sich vor allem auf die Vermittlung von komplexen Sachverhalten in einer allgemein verständlichen Sprache spezialisiert. Aktuelle Artikel