Geht es mit der Familie in die Ferne, hat Reisen etwas ganz Spezielles an sich. Erwarten Sie daher keinen Reisebericht der herkömmlichen Art, der Sehenswürdigkeiten abhakt. Im Folgenden werden vielmehr einige subjektive Eindrücke vom kleinsten gemeinsamen Nenner familiärer Interessen und Neigungen auf Basis eines (mehr oder weniger) demokratischen Entscheidungsprozesses wiedergegeben.
Stamford Bridge statt Tower Bridge
Von unserem ersten Ziel, der Tower Bridge, geht es gleich zum legendären Stadion des FC Chelsea an der Stamford Bridge. Ungewöhnlich, aber – im Sinne des gemeinsamen Reisens – ein Erlebnis. Unser Guide gewährt einen kleinen Einblick in die Dimensionen des internationalen Fußballs und ist dank britischen Humors ein Erlebnis für sich. Außerdem spielte hier einmal der – nach Ansicht meiner Tochter – beste und vor allem attraktivste Fußballer aller Zeiten: Fernando Torres. Ein gewisses Maß an Subjektivität kann man dieser Wertung nicht absprechen … Ein vier Meter hohes Bildnis und ein Fanshop von unvorstellbaren Dimensionen machen diesen Platz zur Kathedrale der Fans.
Museen
Ob National Gallery oder Victoria and Albert Museum: In Sachen Museen sind die Engländer top! Das finden sogar meine Kids, die härtesten Museumskritikerinnen, die es gibt. Um sie überhaupt zum Betreten eines Museums zu bewegen, braucht es zunächst einmal eine Riesenportion Motivation. Sollte die anschließende Verweildauer mehr als 60 Minuten betragen, ist das schon als großes Lob für das betreffende Haus zu verstehen. Das Victoria and Albert Museum vermochte mit Exponaten aller Art aus aller Welt und auch interaktiven Präsentationen sogar meine Töchter zu überzeugen.
Bummeln, Pubs und Buckingham
Von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten hetzen? Das ist in London eindeutig zu wenig, um die Stadt zu fühlen. Will man ins Londoner Leben eintauchen, heißt es einfach bummeln, sich vom britischen Lebensgefühl anstecken lassen, vor einem Pub stehen und ein Bier trinken, in Covent Garden den Straßenkünstlern zusehen oder sich einfach einmal nur auf den Piccadilly Circus stellen. Auch an Buckingham Palace wird man wahrscheinlich nur vorbeischlendern können. Man darf ja nicht hinein, wenn die Queen zu Hause ist … und die geht offenbar nur im Sommer aus. Meine Damen sind von den Guards beeindruckt: „Wie kann man nur so lange stehen ohne zu reden?“
Der Tower – Her Majesty’s Royal Palace and Fortress
Die Führung ist die eigentliche Attraktion. Ein hoch dekorierter Angehöriger der Royal Army geleitet durch den Tower. Mit seiner gnadenlosen Eloquenz konnte er im Kampfeinsatz die Feinde des „Empires“ wahrscheinlich spielend totreden. Heute stellen er und seine in der historischen roten Uniform der Wachen gekleideten Kollegen, die Yeoman Warders, einen wesentlichen Teil der Tower-Folklore dar. Zwar merken die Kids an, dass sie nicht alles verstanden haben, aber den meisten Erwachsenen geht es nicht anders … und das ist auch egal: Man muss die Engländer nicht verstehen, um sie zu mögen!
Musical
London bietet eine schier unendliche Fülle an Musicals. Unsere Wahl fiel auf „We Will Rock You“ – für Queen-Fans ein fantastisches Erlebnis! Bei der Auswahl empfiehlt es sich übrigens, Wege der demokratischen Entscheidungsfindung zu umgehen, denn sonst sehen Sie vielleicht gar nichts. Dies beispielsweise in Form eines überraschenden Anrufs, während die weiblichen Familienmitglieder beim Shoppen sind: „Es gäbe da zufällig noch Karten für heute Abend …“ Die taktisch brillante Vorgangsweise hatte allerdings einen kleinen Haken: In England sollte man nicht zu spät kommen, sonst wird man – britisch korrekt eben – nicht mehr eingelassen … Versuchen Sie aber einmal mit drei Damen, die direkt vom Shoppen kommen, pünktlich zu sein!
Alleingang im British Museum
Wir Männer sind in unserem tiefsten Innersten einsame Wölfe. Zumindest wenn die Damen zu ihren legitimen Shoppingexpeditionen aufbrechen, ist die Zeit der gepflegten Einsamkeit gekommen und eine Single-Expedition in das British Museum angesagt. Schon die Architektur beeindruckt. Der Innenhof, im Jahr 2000 durch eine Stahl-Glas-Konstruktion geschlossen, ist der größte überdachte öffentliche Platz in Europa. Nachdem das Commonwealth ausreichend Möglichkeiten bot, das Museum mit imposanten Exponaten auszustatten, kann man hier entspannte Stunden in einer wunderbaren britisch-musealen Atmosphäre verbringen.
Bootsfahrt auf der Themse und London Eye
Mit ein bisschen Glück und bei schönem Wetter fühlt sich eine Bootsfahrt auf der Themse an wie Cabriofahren durch London … nur ohne Stau. Bei Nieselregen ist es allerdings very british. Adäquate Kleidung sei in jedem Fall empfohlen. Vom Houses of Parliament bis zur Tower Bridge ist alles dabei, was an der Themse liegt. Auch aus Sicht der Kids wurde die Schifffahrt sehr positiv bewertet: Fotos mit Big Ben im Hintergrund erweisen sich als ideal für diverse Facebook-Posts. Dass die Haare dabei dekorativ im Wind flattern, erhöht die Wahrscheinlichkeit vieler „Likes“. Das London Eye, ein Riesenrad, liegt gleich neben der Einstiegsstelle und wird meist zusammen mit Ersterer gebucht. Kollektive Bewertung: „Urgeil, wenn du ganz oben bist!“
Kaufhaus statt Shopping Mall
Kaufhäuser haben in London vordergründig weniger mit Shopping denn vielmehr mit englischem Lebensgefühl zu tun. Harrods, den bekanntesten Vertreter britischer Kaufhauskultur, besucht man am besten in der Vorweihnachtszeit … vor allem, wenn Sie mit der Kombination aus britischem Lebensgefühl und Advent etwas anfangen können. Fortnum [&] Mason ist kleiner, eleganter und ein wenig beschaulicher. Das Highlight in Sachen britischer Lebenskultur: Marmeladen, Kekse und die typisch englisch-skurrilen Kombinationen verschiedener Geschmacksrichtungen.
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ZUR PERSON Mag. Kurt Ohnesorg ist Herausgeber von NEW MOM, all4family und COOL DAD. Vater von zwei Töchtern. Wenn er die Zeit dazu findet, schreibt er Artikel, die sich vor…