Mental Load beschreibt die unsichtbare Arbeit bei der Gestaltung des Alltags: von der Haushaltsorganisation über die Koordination von Familienaktivitäten bis zur Pflege sozialer Beziehungen. Diese Aufgaben können die Gedanken beherrschen und zu einem regelrechten Burnout führen. Wir haben nachgefragt, woran es liegt, dass Frauen stärker als Männer betroffen sind, und wie man diese Last gerechter verteilen kann.
Die kognitive, also geistige Arbeit rund um das Haushalts- und Gesellschaftsgeschehen wird zu 80% von Frauen erledigt. „Ständig haben sie diese noch zu erledigenden Aufgaben im Kopf. Nicht einmal unter der Dusche oder auf der Toilette legen die Gedanken eine Pause ein, was noch wann gemacht gehört und was man besser oder anders machen könnte. Das laugt aus“, berichtet Yvonne Jouja, Psychosoziale Beraterin, von den Wahrnehmungen ihrer Klientinnen. Es scheint jedoch die gesellschaftliche Erwartung zu sein, die Frauen ungefragt zu Familienmanagerinnen ernennt. Floskeln wie „Frauen beherrschen das Multitasking“ oder „Frauen sind dafür gemacht“ erinnern unaufhörlich daran.
Mutter-Gen & Multitasking
„Falsch! Wir Frauen sind nicht durch ein mysteriöses Mutter-Gen zum Multitasking geboren. Außerdem ist es eine unwahre und dennoch weitverbreitete Meinung, dass wir seit Anbeginn der Menschheit die Aufgaben in Sachen Haushalt und Kindergroßziehen übernommen hätten“, fasst Expertin Yvonne Jouja zusammen.
All diese Theorien sind längst wissenschaftlich widerlegt. Weder ein Mutter-Gen konnten ForscherInnen in der weiblichen DNA ausfindig machen noch haben NeurologInnen feststellen können, dass Frauen mühelos mehrere Aufgaben gleichzeitig bewältigen. Die bügelnde Frau, die parallel mit zwischen Ohr und Schulter eingezwicktem Handy einen Arzttermin für ihren Gatten vereinbart, während sie gleichzeitig die Hausübung des Kindes kontrolliert und das Backrohr im Auge behält, ist ein trügerisches Wunschbild.
Das kann und darf nicht der Realität entsprechen: Frauen sollen selbst entscheiden, welche To-dos sie übernehmen möchten und welche sie auslagern oder komplett sein lassen.
Frauen waren Jägerinnen
„Gleich mehrere archäologische Funde beweisen übrigens, dass bereits in der Steinzeit Frauen auf die Jagd gegangen sind. Es kann also selbst in anthropologischer Hinsicht nicht in unserem ererbten Grundverhalten verankert sein“, macht Evelin Schwarz, Psychosoziale Beraterin, deutlich.
Der Beweis: Forscherteams der Seattle Pacific University fanden 9000 Jahre alte Frauengräber, in denen etwa die Hälfte der Toten gemeinsam mit Werkzeugen und Jagdwaffen bestattet wurde. Aber auch bei zahlreichen heute lebenden Naturvölkern sind Frauen vielfach an der Jagd beteiligt, etwa bei den Pygmäen in Afrika oder bei indigenen Gruppen in Amazonien und Peru.
Die Industrialisierung ist schuld
Für das – menschheitsgeschichtlich betrachtet – junge Phänomen Mental Load machen HistorikerInnen die Industrialisierung und die damit verbundene räumliche Trennung von Arbeits- und Wohnort verantwortlich.
Die Rollen mussten im 18. Jahrhundert zwangsläufig aufgeteilt werden: Eine Person blieb zu Hause und sorgte für den Haushalt und den Nachwuchs (normalerweise die Frau, denn sie war schwanger und stillte), während die andere der Erwerbstätigkeit nachging (für gewöhnlich der Mann, weil er aufgrund seines Körperbaus schwerere Arbeit verrichten konnte).* Schwarz: „Mental Load war damals noch ein Fremdwort.“
Frauen sind ja keine Superheldinnen, es wäre nur gesellschaftlich sehr praktisch, wenn sie solche wären.
98 Stunden Care-Arbeit
Im 21. Jahrhundert sieht es anders aus. Besonders Mütter stehen vor exorbitanten Herausforderungen. StatistikerInnen vermuten, dass die durchschnittliche österreichische Mama wöchentlich etwa 98 Stunden ausschließlich mit Care-Arbeit verbringt. Viele der betroffenen Frauen gehen aber zusätzlich einer Lohnarbeit nach.
Zur Veranschaulichung: Vor 100, ja sogar vor 50 Jahren noch musste sich niemand Gedanken darüber machen, wie die Kinder zum Schwimmtraining oder Flötenunterricht gebracht werden, wie sich dazwischen noch Therapiestunden ausgehen, welches Geschenk für die nächste Geburtstagsparty besorgt werden soll und was in die Jausenbox gefüllt wird.
Der Alltag ist schnelllebiger, die Anforderungen an unser Leben und an uns selbst komplexer und die Terminkalender übervoll.
Terminkalender entrümpeln!
Yvonne Jouja und Evelin Schwarz, jede von ihnen vierfache Mutter, wissen um diese Herausforderungen und empfehlen: „Termine rigoros streichen! Welche Aufgaben sind wirklich wichtig? Zum Beispiel: Muss ich den Kuchen für die Geburtstagsparty selber backen oder kann ich einen kaufen?“
Auch die Delegierung von Aufgaben an andere Personen muss gelernt werden. „Oft, und ich schließe mich mit ein, sind Frauen von Perfektionismus getrieben. Wir haben ein genaues Bild davon, wie etwas sein sollte. Ich muss versuchen, mich davon zu lösen. Dann packe eben nicht ich den Rucksack für den Ausflug am Wochenende, wenn der Papa was mit den Kindern unternimmt. Das muss er machen. Fehlt dann die Wasserflasche, wird er sich zu helfen wissen und lernt bestenfalls daraus. Die Welt geht davon nicht unter“, sagt Evelin Schwarz.
Aufgaben verteilen und abgeben
Bei der Aufgabenverteilung innerhalb der Partnerschaft ist es lohnend, sich darüber Gedanken zu machen, was einem selbst gar keinen Spaß macht und nur Unmut erzeugt. Sind das vielleicht alle Themen rund um die Schule oder ist es die Planung des Wochenendprogramms? Egal, was es ist: einfach der Partnerin oder dem Partner mitteilen und diesen Bereich komplett und dauerhaft abgeben.
Außerdem kann man ab einer gewissen geistigen Reife auch den Kindern Aufgabenbereiche übertragen; beispielsweise können sie ab dem Unterstufenalter alleine mit dem Rad oder den Öffis zu ihren FreundInnen oder ihren Hobbys fahren. Dann zeigt sich übrigens sehr schnell, was den Kids wirklich wichtig ist und was nicht.
Der Schlussappell von Schwarz und Jouja lautet: „Viel mehr darüber zu reden wäre wichtig und den Frust nicht stillschweigend zu ertragen. Diese unsichtbare Arbeit muss sichtbar gemacht werden, damit sie gesellschaftlich mehr Anerkennung, Gehör und Unterstützung erhält.“
Expertinnen-Tipps gegen Mental Load
- Mental Load sichtbar machen: Sprechen Sie mit Ihrem Partner / Ihrer Partnerin über die Aufgabenverteilungen des Alltags und versuchen Sie die Last zu verteilen.
- Aufgaben delegieren: Geben Sie Aufgaben ab und vertrauen Sie darauf, dass andere Personen diese übernehmen können – auch wenn sie dann anders gelöst werden, als Sie es tun würden.
- Prioritäten setzen: Nicht jede Aufgabe ist gleich wichtig. Setzen Sie Prioritäten und konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche. Lernen Sie, Nein zu sagen und Teile Ihrer To-do-Liste zu streichen.
- Terminkalender entrümpeln: Überprüfen Sie regelmäßig Ihren Terminkalender und streichen Sie unnötige Verpflichtungen. Weniger Fixtermine bedeuten weniger Stress.
- Selbstfürsorge üben: Planen Sie bewusst Zeit für sich selbst ein. Persönliche Auszeiten sind wichtig, um die geistige Last zu mindern. Das kann auch etwas Simples wie ein Spaziergang sein.
- Professionelle Unterstützung: BabysitterInnen oder eine Putzkraft können Entlastung bieten. Mental können Sie sich durch psychosoziale oder psychologische Beratung stärken.
Autor:in:
Zur Person Lisa Strebinger ist dreifache Mutter, studierte Biologin, hat einen Abschluss in Qualitätsjournalismus und ein Diplom als Ernährungs- und Vitalstofftrainerin. Lisas Leidenschaft ist das Schreiben rund um medizinische und…