Schwankungen des Östrogenspiegels sind ein starker Migräneauslöser. Deswegen leiden Frauen häufiger an Migräne als Männer. Während Schwangerschaft und Stillzeit kommt es aufgrund des stabilen hochnormalen Östrogenspiegels zu deutlich weniger Anfällen. Was aber, falls in dieser Zeit doch eine Attacke auftritt? Und wie erkennt man Migräne bei Kindern? Wir haben dazu die Meinung zweier Fachleute eingeholt.
Kaum jemand, der nicht ab und zu unter Kopfschmerzen leidet! Wann aber handelt es sich tatsächlich um Migräne?
Laut Dr. Robert Paur, Facharzt für Neurologie, zeichnet sich Migräne durch bestimmte Charakteristika aus, die sie von anderen Kopfschmerzarten unterscheiden.
- Ein wichtiges Merkmal ist das Auftreten als Attacke, die zwischen vier und 72 Stunden dauern kann.
- Die starken, pochenden Schmerzen erscheinen meist einseitig
- und können von übelkeit, Licht- und Lärmempfindlichkeit, selten auch tränenden Augen und rinnender Nase begleitet sein.
- Körperliche Aktivität verstärkt den Schmerz. Grund ist eine Reizverarbeitungsstörung im Hirnstamm, die letztlich zu einer Entzündung der Gehirngefäße führt.
WIE KÜNDIGT SICH EINE ATTACKE AN?
Schon Stunden bis Tage vorher können sich erste Vorboten bemerkbar machen: Bleierne Müdigkeit oder übersteigerte Aktivität und Heißhunger, vor allem auf Süßes, kennzeichnen das sogenannte Prodrom. Oft, aber nicht immer, lassen sich bestimmte Auslöser feststellen: unregelmäßige Schlaf- und Essenszeiten, Überlastung, ein Wetterumschwung. Oder aber Schwankungen des Östrogenspiegels, was erklärt, warum Frauen deutlich häufiger an Migräne leiden.
Bei der Migräne mit Aura beginnt der Anfall selbst mit neurologischen Symptomen wie Sehstörungen, Flimmern oder einer Einschränkung des Gesichtsfelds. Auch Störungen der Sensibilität, Lähmungen, Sprachstörungen etc. können auftreten. Diese Phänomene dauern bis zu einer Stunde an, bei komplizierter Migräne auch länger.
GRUND GENUG, ZUM ARZT ZU GEHEN?
Der Arzt erhebt zunächst die Vorgeschichte (Anamnese). Dann wird abgeklärt, dass keine anderen Ursachen wie ein Gehirntumor oder ein Aneurysma (Aussackung einer Arterie) vorliegen und ob anhaltende neurologische oder psychologische Störungen bestehen.
Dr. Paul (Facharzt für Neurologie): „Migräne ist eine Ausschlussdiagnose. Das heißt, dass es keine bessere Erklärung für die Schmerzattacken gibt.“
WIRD MAN MIGRÄNE WIEDER LOS?
Migräne ist eine chronische Erkrankung, man wird sie meist nicht los. Allerdings kann sie in unterschiedlichen Lebensphasen wie Menopause oder Alter wieder verschwinden.
Ein gewisser Lifestyle kann Betroffenen helfen, mit der Migräne leben zu lernen:
- Die eigenen Auslöser kennen und, wenn möglich, vermeiden
- Vorsicht bei der Speisenwahl im Falle einer Histamin-Unverträglichkeit
- In der Ruhe liegt die Kraft: Reizüberflutung ist ein No-Go.
- Möglichst regelmäßige Lebensführung mit ausgeglichener Ernährung – besonders wichtig ist eine ausreichende Magnesiumzufuhr.
- Ausdauersport und Entspannungsübungen
- Muskelverspannungen lösen
- Akupunktur ist einen Versuch wert.
WELCHE SIND DIE MÖGLICHEN BEHANDLUNGSMETHODEN?
Bei geringen Schmerzen helfen oft schon ein kalter Umschlag und Entspannung. Reicht das nicht, wird stufenweise vorgegangen.
„Zunächst gibt man Aspirin, Antirheumatika oder Paracetamol. Reicht das nicht aus, werden Triptane verschrieben“, so Dr. Paur.
Letztere, speziell zur Migränebehandlung entwickelt, helfen auch gegen Begleiterscheinungen wie Lärm- und Lichtempfindlichkeit. Bei anderen Kopfschmerzen wirken sie nicht. Im Falle starker Übelkeit beginnt man die Behandlung mit einem Antiemetikum – einem Medikament, das das Erbrechen verhindert und die Aufnahme der folgenden Medikamente verbessert.
IN SCHWEREN FÄLLEN: MEDIKAMENTÖSE PROPHYLAXE UND ANTIKÖRPERTHERAPIE
Treten die Anfälle mehr als zwei- oder dreimal im Monat auf, sind sie besonders lang und beeinträchtigend oder schlägt die Behandlung nicht an, empfiehlt sich eine Prophylaxe, um eine Abhängigkeit von Schmerzmedikamenten zu vermeiden.
- Als Prophylaxe kommen niedrigdosierte Medikamente aus anderen Krankheitsbereichen zum Einsatz, wie z. B. Betablocker, Antiepileptika, bestimmte Antidepressiva oder Calciumantagonisten, die die Gefäße entspannen.
Hilft das alles nichts, gibt es seit Kurzem eine Antikörpertherapie per Spritze oder Pen. „Diese Therapie wirkt gut“, weiß Dr. Paur. „Bis zu 50 Prozent der Anwender erreichen eine Senkung der Anfallshäufigkeit von 30 bis 60 Prozent.“
WAS, WENN ICH SCHWANGER BIN ODER STILLE?
Paracetamol und nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Diclofenac, Ibuprofen etc. können sparsam eingesetzt werden.
Ab der 28. Schwangerschaftswoche sind NSAR aber untersagt, weil sie beim Ungeborenen zu einem vorzeitigen Verschluss des Ductus, der Verbindung zwischen Hauptschlagader und Lungenschlagader, führen können. Im Mutterleib braucht das Kind die Lunge noch nicht; der Ductus verhindert, dass das Blut durch die unreife und unentfaltete Lunge fließt und diese schädigt.
Prophylaxe-Patientinnen können unter ausreichender Kontrolle weiter mit Betablockern und dem Antidepressivum Amitriptylin behandelt werden.
Für die Stillzeit eignet sich ein bestimmtes Triptan, das kaum in die Muttermilch übergeht.
MIGRÄNE BEI KINDERN: TIPPS VON DER EXPERTIN
Anzeichen:
Kind ist blass, hat dunkle Augenschatten
- manchmal: Heißhunger nach Süßem
- oft: lärm- und lichtempfindlich
- Brechreiz, Bauchschmerzen
- unterbricht Spiel, ist ruhebedürftig
- Kopfschmerz meist in der Stirnmitte, drückend und bohrend
- Anfall meist nur eine bis drei Stunden
Was tun?
Ruhe, ein Glas Wasser, Orangensaft oder Banane für die Kalium- und Magnesiumversorgung
Vorbeugung: Lifestyle und Schlafhygiene
- keine Reizüberflutung
- kein Handyspielen vor dem Schlafengehen
- genügend Wasser trinken
- morgens unbedingt 40 Minuten für einen langsamen Start einplanen
- rund eineinhalb Stunden vor dem Sport ein Glas Orangensaft und ein Stück Weißkäse
- Besonderheiten an Tagen mit Migräne ebenso notieren wie Migränetage selbst
Behandlungsgrundsätze bei Kindern
- keine Medikamentenabhängigkeit entwickeln!
- wenn schon Medikamente, dann in der richtige Dosierung (hoch genug) und zum richtigen Zeitpunkt, d. h. früh genug, nicht warten
- geeignete Wirkstoffe für Kinder: Ibuprofen, Paracetamol, Mefenaminsäure, am besten als Saft
Fachliche Beratung
Dr. Robert Paur
Facharzt für Neurologie, Arnikaweg 117/4,
1220 Wien, www.neuro22.at
Univ. Prof. Dr. Çiçek Wöber-Bingöl (a.D.)
Fachärztin für Neurologie/Psychiatrie,
Kinderneurologie, Kinderpsychiatrie
(Migräne bei Kindern)
Autor:in:
Zur Person: Mag. Elisabeth Sorantin hat Sprach- und Literaturwissenschaften studiert und sich vor allem auf die Vermittlung von komplexen Sachverhalten in einer allgemein verständlichen Sprache spezialisiert. Aktuelle Artikel