Seit jeher wird der Musik eine heilsame Wirkung zugeschrieben. Je nach Rhythmus, Tonart, Klangfarbe, Harmonie oder Tempo können die Klänge eines Liedes oder eines instrumentalen Stückes beruhigen, harmonisieren, erfreuen oder aktivieren. Schon Platon wusste: Musik und Rhythmus finden ihren Weg zu den geheimsten Plätzen der Seele.
Macht gemeinsam Musizieren Sinn?
„A ram sam sam, a ram sam sam, guli, guli, guli, guli, ram sam sam, a rafiq…!“ Begeistert singen die Kinder das beliebte Lied, reißen die Hände in die Höhe, kreisen mit den Armen und wippen mit den Füßen – so, wie es ihnen die Kindergartenpädagogin vorzeigt. Die Jungen und Mädchen sind mit Feuereifer bei der Sache. Auch wenn die meisten nicht wissen, dass „guli“ „sag’s mir“ und „a rafiq“ „Freund“ bedeuten, schult dieses Lied nicht nur das Gehör und das rhythmische Verständnis, sondern vermittelt Kindern auch ein Gemeinschaftsgefühl.
Viele Eltern probieren erst gar nicht, gemeinsam mit ihrem Kind Lieder zu singen. Sie sind der Meinung: „Mein Kind ist nicht musikalisch. Das hat es bestimmt von mir!“ Ein Irrglaube … jedes Kind reagiert auf Musik!
Schon mit sechs Monate können Babys zur Musik mitwippen, und bereits früher reagieren sie aufmerksam auf Töne. Keiner wird unmusikalisch geboren, vielmehr verliert ein Kind die Gabe, wenn sie nicht angeregt wird.
Das menschliche Gehirn wird durch Musik ganzheitlich stimuliert – gleichgültig, ob aktiv musiziert oder ob einfach den Klängen eines Liedes oder eines Musikstückes gelauscht wird. Das ist einer der Gründe, warum sprechmotorische Therapien häufig mit Musik untermalt werden. Dass der frühe Bezug eines Kindes zur Musik die Leistungsfähigkeit des Gehirns und die Psyche eines Babys positiv beeinflusst, ist erwiesen. Daher soll und darf man mit Kindern singen, auch wenn nicht immer jeder Ton getroffen wird. Auf die Begeisterung kommt es an! Eltern, die mit ihrem Kind singen, verbessern die emotionale Beziehung zu ihm und schaffen eine gemeinsame Tätigkeit, die allen Beteiligten Freude macht.
Führt Singen zum Sprechen lernen?
Durch das Singen von Liedern wird die sprachliche Entwicklung spielerisch und optimal trainiert. Von „Alle meine Entlein“ über „Weißt du, wie viel Sternlein stehen“ bis hin zu „Der Mond ist aufgegangen“ – die Kinderliedklassiker erweitern den Wortschatz. Die Kids lernen ganz nebenbei und mit Spaß Sprachmelodie, Satzbau und Aussprache, zumal Texte und Melodien von Kinderliedern meist richtige Ohrwürmer sind und sich leicht ins Gedächtnis einprägen.
Schon Zweijährige können singen und erfinden oftmals eigene Melodien und Texte aus ihrer momentanen Gefühlslage heraus, etwa „Meine Puppe ist müde!“ oder „Wuffi mag spielen!“. Singen regt die Fantasie an und lässt die Kleinsten kreativ werden. Spaß macht es auch, dabei die Vokale zu ersetzen oder ganze Wörter auszulassen und diese nur zu deuten. Der Kreativität sind beim Singen keine Grenze gesetzt.
Bewegung und Spaß
Musik fördert alle Sinne und lädt zum Tanzen ein. Bewegungslieder wie „Lasst die Räuber durchmarschieren“ und „Ringel, Ringel, Reihen“ bereiten den Jüngsten seit vielen Generationen großen Spaß. Kinderliedermacher begeistern daher in ihren Konzerten ihre kleinen Fans mit Mitmachliedern. Die Bewegungsabläufe fördern nicht nur die kindliche Motorik, sondern auch das Gedächtnis.
Doch das Wichtigste sind die Leichtigkeit und Freude, die die Kinder mit Tanzliedern erleben. Ganz nebenbei nutzen sie beim „Musikmachen“ nahezu alle Sinne wie etwa den Hör-, Seh-, Tast- und Spürsinn sowie den Gleichgewichts- und Bewegungssinn. Viele Kinderlieder laden auch zum Mitgebärden oder Geräuschemachen ein – man denke etwa an den Klassiker „Old Mac Donald hat ne Farm“.
Kann Musik ein Anker für die Seele sein?
Kinder lieben Rituale und Strukturen.
- An der Melodie ihrer Spieluhr, die Abend für Abend dieselbe beruhigende Melodie erklingen lässt, erkennen bereits Säuglinge, dass es nun Zeit zum Schlafen ist. Die „Kleine Nachtmusik“ vermittelt dem Kind Geborgenheit und Sicherheit.
- In Kindergartengruppen gibt es morgens das Begrüßungslied oder ein spezielles Aufräumlied, wenn es Zeit fürs Ordnungmachen ist. Mit einem Zahnputzsong macht das Reinigen der Zähne abends mehr Spaß. Geburtstagslieder wie „Happy Birthday“ oder „Wie schön, dass du geboren bist“ lassen sich aus dem Jahreskreis ohnehin nicht mehr wegdenken.
Musik gibt kleinen Kinderherzen den Halt, der das Leben leichter und unbeschwerter macht. Zudem fördern das gemeinsame Singen und Tanzen den Zusammenhalt in der Familie, denn miteinander macht es einfach noch mehr Spaß! Gewisse Lieder und Melodien wecken auch Erinnerungen: „Dieses Lied hat meine Oma immer beim Kochen gesungen!“ oder „Das ist der Song vom Kinderskikurs!“. Solche Assoziationen verhelfen einem ein ganzes Leben lang zu schönen Erinnerungen, wenn eine bestimmte Melodie ertönt.
Wie kann Musik helfen?
An Tagen, an denen nicht alles glatt läuft, kann Singen helfen – ebenso, wenn ein Kind über unangenehme Dinge, die ihm widerfahren sind, nicht reden möchte. In meiner Tätigkeit als Förderpädagogin erlebe ich immer wieder diese Sprachlosigkeit bei meinen Schülern. Wenn ein Kind zu mir sagt: „Ich kann das jetzt nicht erklären!“, frage ich es: „Magst du singen, was du sagen möchtest?“ Meistens steigt das Kind darauf ein und „singt“ sich seinen Ärger von der Seele.
Gewisse Rechtschreibregeln oder das Einmaleins lernen wir singend und manchmal auch tanzend. Das macht nicht nur riesig Spaß, sondern ist ganz nebenbei auch von Erfolg gekrönt. Denn so kommen dem Kind, wenn es etwa eine bestimmte Malreihe abrufen soll, nicht nur die Zahlen in den Sinn, sondern auch die dazu passende Melodie – sie ermöglicht ein besseres Erinnern.
Musik drückt Emotionen aus
Neben aller pädagogischen und therapeutischen Wirkung bringt Musik auch gut versteckte Gefühle ans Tageslicht. Das gilt nicht nur für fröhliche und beschwingte Melodien in Dur, die erwiesenermaßen unsere Herzfrequenz und unsere Atmung beschleunigen. Musikstücke in Moll, die uns „schwermütig“ erscheinen, bewirken das Gegenteil.
So haben Dur- und Mollkompositionen auch eine unterschiedliche Auswirkung auf unsere Aufmerksamkeit und Konzentration. Letztere erhöht sich bei Liedern in Moll. So wie im Leben gehören fröhliche und traurige Klänge dazu. Sie helfen uns, unsere jeweilige Stimmung auszudrücken. So darf auch ein Kind wählen, welche Musik es gerade am liebsten hören mag. Vorsicht ist nur geboten, wenn es über einen längeren Zeitraum in traurige Melodien versinkt. Als Gesprächsanlass ist Musik in jedem Fall bestens geeignet, wie der französische Dichter Victor Hugo treffend meinte: „Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.“
Wann, wie und welche Musikinstrumente lernen?
Musikpädagogen werden immer wieder von Eltern gefragt: „Ab wann soll mein Kind ein Instrument lernen?“ Sie können beruhigen: Meist kommt der Wunsch beim Kind von selbst. Dann ist auch der richtige Zeitpunkt dafür gekommen … nicht aber, wenn Eltern das gerne möchten.
Ob Geige, Flöte, Klavier oder Gitarre: Auch die Wahl des Instrumentes sollte nach Möglichkeit dem Kind überlassen werden. So ist die Chance größer, dass es im Alltag auch tatsächlich musiziert. Natürlich möchten Eltern schöne Klänge hören, und manchmal schmerzt ein falsch getroffener Ton in den Ohren. In erster Linie kommt es beim Musizieren aber auf die Freude und die Begeisterung an. Mit der Zeit werden auch die Kinder hellhörig für harmonische Töne.
Elterliche Geduld und Ermutigung sind gefragt, gerade wenn Kinder in jungen Jahren ein Instrument erlernen möchten. Und so das nicht der Fall ist: Musizieren kann man mit dem Nachwuchs auch ohne Instrument. Von CDs über das Tablet bis hin zu Musikboxen für Kids gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, Melodien und Lieder zu hören, dazu zu singen und zu tanzen.
Musik berührt. Musik verbindet. Musik macht Spaß. Aber bitte ohne jeden Druck oder Drill. Dann ist Musik das, was sie sein soll: Seelennahrung für Jung und Alt.
Autor:in:
Zur Person DI Roswitha Wurm Dipl. Legasthenie-, Dyskalkulie- und Lerntrainerin, Buchautorin und freie Redakteurin, (Sport)mentaltrainerin https://lesenmitkindern.at/ Aktuelle Artikel