Viel zu schnell geht für viele Eltern die Kleinkindzeit vorbei und steht die Einschulung vor der Türe. Welchen Beitrag Sie zu einem Gelingen dieses Schrittes leisten können und warum Gelassenheit das Gebot der Stunde ist, lesen Sie hier.
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht sitzt Mia am Küchentisch und isst Schokoladentorte. Heute ist ein besonderer Tag: Schließlich durfte das Mädchen nicht nur sechs Kerzen auf dem Geburtstagskuchen ausblasen, auch die heiß ersehnte Schultasche war unter den Geschenken. Die selbstbewusste Mia geht gerne in den Kindergarten, freut sich aber schon uneingeschränkt auf die Schule, für Zweifel ist kein Platz. Ihren Namen schreibt sie bereits mühelos in krakeliger Schrift und kann es kaum erwarten, endlich lesen zu lernen.
Ihre Eltern haben freilich gemischte Gefühle. Während sie stolz auf ihre große Kleine sind und spüren, dass Mia für den nächsten Abschnitt bereit ist, sind sie selbst in erster Linie nervös. Derartige Unsicherheiten von Eltern kennt auch Brigitte Riemer von der Schulpsychologie Tirol: „Es gibt eben gelassene, ängstliche, überbehütende Eltern und auch solche, die sich nicht groß um den Schuleintritt ihrer Kinder kümmern. Vieles hängt mit den eigenen Schulerfahrungen zusammen.“ Wobei es für Brigitte Riemer gilt, etwaige negative Erfahrungen auszuklammern, denn es ist nicht förderlich, das Kind mit eigenen Sorgen zu belasten. Vielmehr ist es wichtig, Schule als Chance zu vermitteln. Denn wer lernen „darf“ und nicht lernen „muss“, hat naturgemäß viel mehr Freude an der Sache.
WIE KANN MAN DIE KINDER EINFÜHLSAM BEGLEITEN?
Dabei kommt den Eltern selbstverständlich eine wichtige Rolle in der Vorbereitung auf die Schule zu. Die beginnt von Geburt an und hat mit gezieltem Training recht wenig zu tun. Elisabeth Eggerth ist langjährige Lehrerin an österreichischen Volksschulen von Wien bis nach Vorarlberg und weiß, wie es geht: „Spielerisch kann sehr viel getan werden, um den Nachwuchs schulfit zu machen. Kinder sollten so oft wie möglich hinaus in die Natur, in den Wald, sich austoben und bewegen. Dies fördert nicht nur die Motorik, sondern auch die kognitiven Fähigkeiten. Zeichnen, malen, mit Klebstoff basteln, Perlen auffädeln, einfache Figuren ausschneiden, mit Knete spielen sind wertvolle Tätigkeiten.“
Auch im Haushalt können Kinder wichtige Erfahrungen sammeln, wenn man ihnen scheinbar banale Dinge zutraut. Pädagogin Eggerth weiß, wie sehr Kinder davon profitieren, wenn sie Obst schneiden und auch einmal die Wäsche aufhängen, den Esstisch decken dürfen. Einbeziehen, machen lassen, unterstützen, in ihrer Rolle als einfühlsame Erwachsene, die ihre Kinder leiten und ins Leben hineinführen. Elisabeth Eggerth rät, bei Unsicherheiten den Kontakt zur Schule zu suchen. „Beim Tag der offenen Tür oder bei einem vorgezogenen Elternabend lassen sich Schwellenängste abbauen. Werden diese nicht angeboten, kann man ruhig nach der Möglichkeit eines ungezwungenen Kennenlernens von Lehrperson und Schulgebäude schon vorab fragen“, ermuntert Eggerth Eltern zur Initiative.
CHECKLISTE FÜR DIE SCHULREIFE?
Überall kursieren „Checklisten“, was Kinder zum Schuleintritt beherrschen sollten. Dass diese häufig recht umfangreich und selbst für bemühte, zugewandte Eltern zum „Haareraufen“ erscheinen, ist nicht zielführend. „Kein Kind muss lesen und schreiben können, bevor es in die erste Klasse kommt“, gibt Schulpsychologin Brigitte Riemer Entwarnung und erläutert Bereiche, die viel wichtiger sind: „Ein gewisses Maß an Selbständigkeit sollen Kinder mitbringen, etwa sich eine Weile alleine beschäftigen und warten können oder selbst Interesse an zu entdeckenden Dingen haben. Durch häufiges Vorlesen können Kinder Reime bilden und Laute aus Wörtern heraushören.“
Neben diesen phonologischen Aspekten sind auch mathematische Fertigkeiten wie das Zählen bis zehn oder motorische Anforderungen wie springen, balancieren und rechts von links unterscheiden zu können zu beachten. Schließlich gilt es, soziale Anforderungen im Auge zu haben: „Wenn Kinder grüßen, danken, teilen und auch einmal verlieren können, dann sind das wesentliche Voraussetzungen für ein gelungenes Miteinander in der Klasse“, so die Expertin.
WELCHE ROLLE TRÄGT DER KINDERGARTEN?
Nicht nur zu Hause, auch im Kindergarten passiert ein wesentlicher Teil der Vorbereitung auf den Schuleintritt. Dort ist es die Aufgabe der PädagogInnen, individuell auf den Entwicklungsstand der Kinder zu achten und in einem professionellen Übergangsprozess bewusst auf die Einschulung vorzubereiten.
Dass Kindergarten und Elternhaus in dieser Zeit sehr eng zusammenarbeiten müssen, weiß Margit Lindinger. Sie ist Leiterin eines Kindergartens in der Nähe von Linz und an der Pädagogischen Hochschule für den Bereich Transition zuständig. Margit Lindinger sieht in erster Linie die große Chance, in Kindergarten und zu Hause das nötige Rüstzeug zu vermitteln, darin: „Kinder, die vieles selbst erproben dürfen, denen zugehört, vorgelesen und mit denen viel gesprochen wird, die Möglichkeit zu vielfältiger Bewegung haben, die ungesteuert von Eltern mit anderen Kindern spielen dürfen, Sicherheit erleben, mit denen Regelspiele gespielt werden, denen viel zugetraut, aber auch einiges abverlangt wird, können meines Erachtens Resilienz und echte Stärke aufbauen, um den neuen Lebensabschnitt der Schulzeit voller Zuversicht bewältigen zu können.“
GUT GESTARTET – UND NUN?
Wenn die ersten Schulwochen ins Land gezogen sind und ein neuer, strukturierter Tagesablauf zur Routine geworden ist, sind die Eltern nach wie vor gefordert.
Brigitte Riemer sieht Schwerpunkte im Loben und Motivieren, im Trösten und Aufmuntern. Aktiv werden müssen Eltern, wenn sie sehen, dass es ihrem Kind nicht gut geht. Unterscheiden zu können, welche Konflikte und Aufgaben (wie etwa den Schulweg) Kinder alleine bewältigen können und wo sie Hilfe brauchen, ist im Einzelfall gar nicht so einfach und für alle ein Lernprozess. Oft sind Zurückhaltung und Loslassen gefragt, treten jedoch psychosomatische Beschwerden wie Bauchschmerzen oder Schlafstörungen auf, ist ein Eingreifen dringend erforderlich.
Die kleine Mia hat es sich inzwischen mit Mama und Papa auf der Couch gemütlich gemacht und lässt sich kleine Anekdoten aus dem Schulalltag der Eltern erzählen. Und dabei wird auch diesen klar: Auf uns wartet ein Abenteuer, und gemeinsam werden wir es mit allen Höhen und Tiefen meistern!
Für alle, die sich vertiefend mit der Thematik befassen wollen, hier zwei hilfreiche Ratgeber:
Adolf Timm, Klaus Hurrelmann,
Stark in die Schule: Was Kinder vor der Einschulung brauchen.
9 Kompetenzen für den Schulerfolg.
Beltz Verlag 2015,
ISBN 978-3-407-85993-8
Neun Kompetenzen – vom guten Familienklima, über Herzenswärme, Freiräume bis hin zu einer liebevollen Konsequenz – legen die Autoren von „Stark in die Schule“ Eltern nahe. Sie erläutern beispielhaft, wie deren Förderung im Alltag von ganz klein auf zu Hause gelingen kann. Und vor allem auch, dass Bildungserfolg in der Familie beginnt.
Britta Kohler,
Gelassen durch die Grundschule.
Antworten auf die 55 wichtigsten Elternfragen.
Von A wie Aufmerksamkeit bis Z wie Zeugnis,
Beltz Verlag 2019,
ISBN 978-3-407-86506-9
Antworten auf brennende Fragen von Eltern zum Schulstart bietet „Gelassen durch die Grundschule“, ein Nachschlagewerk, das kaum Fragen offen lässt. Dabei helfen praktische Tipps zum Rechnen- und Lesen lernen ebenso wie sachliche Informationen zum Konfliktherd Hausaufgaben. Noten, Lernprobleme, Schulverweigerung: hier wird thematisiert, was verunsichert.
Autor:in:
Zur Person Mag.a Mirjam Dauber ist Lehrerin, freie Journalistin und Rezensentin. https://blaetterwald.at/ Aktuelle Artikel