Wenn jemand 50 Uhren sein Eigen nennt, dann kann er was erzählen!
COOL DAD-Autor Alfred Pichler über die Schönheit der Ungenauigkeit, die Anziehungskraft manch billiger Zeitmesser … und die einzig mögliche Antwort auf die Frage “Quarz oder Mechanik?”.
Als mich vor Kurzem der Chefredakteur dieses Magazins zur Anzahl der Uhren auf meinem Nachtkästchen befragte, trug ich wie immer umgehend und routiniert meine profunde Replik vor. Vorschnell und grenzenlos unvorsichtig, wie sich zeigte: Im editorialen Konterfei war irgendetwas zwischen Jagdinstinkt und Neugierde zu erkennen. Um es kurz zu machen: Es endete mit der Bitte um einen “weltgewandten” Leitfaden zu Uhren im Allgemeinen und zu Herrenuhren im Besonderen.
Wer zählt die Uhren, nennt die Namen …
Wie viele Uhren es denn nun wirklich auf meinem Nachtkästchen sind? Im Moment des Schreibens 16, sofern ich mich nicht verzählt habe. Diese Zahl schwankt je nach Stimmung, Jahreszeit, sportlichen oder gesellschaftlichen Aktivitäten. Grob überschlagen dürfte ich insgesamt rund 50 Exemplare besitzen. Wie kann es passieren, dass man zu solch einer Menge kommt? Einer Menge übrigens, die durchaus als Grundausstattung für ein kleineres Uhrengeschäft herhalten könnte …
“Pünktlichkeit ist der Dieb der Zeit”, sagte einst Oscar Wilde. In einer schlampigen Fortführung dieses Aphorismus gilt für mich: Wer nur eine Uhr hat, beraubt sich der Schönheit aller Uhren. Anders ausgedrückt: Auf der Suche nach dem ultimativen Zeitmesser stelle ich immer wieder fest, dass ich ihn Gott sei Dank noch nicht gefunden habe, auch wenn ich ganz innig und ehrlich danach Ausschau halte …
Mein Portfolio enthält teure Schweizer Fabrikate ebenso selbstverständlich wie günstige japanische Quarzuhren. Anziehungskraft und Faszination einer Uhr hängen eindeutig nicht vom Preis ab: So gibt es wirklich tolle Uhren, die kaum mehr als 200 Euro kosten. Naturgemäß finden sich aber unter den teuren Exponaten deutlich häufiger interessante, begehrenswerte Zeitmesser. Leider … denn solche Marktgesetze sind gar nicht gut fürs Haushaltsbudget. Und natürlich gilt trotz toller quarzkontrollierter Zeitinstrumente: je mechanischer, desto anziehender.
Gleiches Recht für alle
Ich bin offen für alle Zeitanzeiger. Ausgrenzung à la “Nur mechanische Uhren sind wahre Uhren” finde ich langweilig. Letztlich machen solche Restriktionen nichts im Leben schöner. Im Gegenteil, die gebotenen Optionen werden nur deutlich geringer, als das Leben es für uns vorsieht. Militante Einschränkungen sind obendrein etwas für Menschen, die mit Vielfalt und Komplexität nicht umgehen können.
Wie bringt man nun die Uhrenwelt näher? Beim einen oder anderen beginnt alles mit der persönlichen Fluchtuhr. In meinem Fall war das – vor rund 23 Jahren – die Rolex Submariner in Stahl. Entgegen meiner Annahme, mit ihrem Kauf habe sich das Thema Uhr erledigt, war es geradezu ein Sesam-öffne-Dich in diese Welt. Befreit vom Druck, die eine Traumuhr zu erreichen, konnte ich mich von da an ungezwungen und entspannt allen anderen Traumuhren widmen.
Historisch betrachtet
Lassen Sie mich ein bisschen Ordnung in die Materie bringen – insbesondere in das weite Feld Herrenarmbanduhren. Leider kann ich in diesen Zeilen nur Streiflichter auf diesen faszinierenden Bereich werfen, die wiederum stark gefiltert durch persönliche Neigungen sind.
Geschichtlich gesehen ist die Armbanduhr ja noch nicht sehr alt. Um es sehr verkürzt darzustellen: Die Herren-Taschenuhr wanderte zunächst im Rahmen sportlicher Aufgabenstellungen, später – während des Ersten Weltkrieges – vor allem aus militärischer Notwendigkeit ans Handgelenk. Waren Armbanduhren davor schlicht etwas für Frauen gewesen, wurde der Zeitanzeiger am Handgelenk nun zu einem ganz persönlichen Teil des Mannes. Ausdruck der Eigenart, Schmuckstück und Statussymbol in einem.
Quarz oder mechanisch?
Auf die Frage “Quarz oder Mechanik” kann es nur eine Antwort geben: beides. Als ultimative Fluchtuhr würde ich allerdings stets einen mechanischen Handgelenksbegleiter mit automatischem Aufzug vorziehen. Der sollte mich nie ernsthaft im Stich lassen, schon allein deshalb nicht, weil er keine Stromquelle braucht.
Zum Thema Quarzwerke gibt es einiges zu sagen: Zunächst sind sie genauer als mechanische Exemplare, und zwar entscheidend. Ihre täglichen Gangabweichungen fallen üblicherweise nicht ins Gewicht. Da muss man bei mechanischen Vertretern in extremeren Fällen schon mit bis zu 30 Sekunden pro Tag rechnen. Wer es noch genauer will, dem seien die sehr interessanten Quarz-Funkuhr-Modelle ans Herz gelegt. Dabei wird zumindest einmal täglich das Zeitsignal via Funk abgeholt und so die Zeit mit jener der Atomuhr synchronisiert. Sommer- und Winterzeitumstellungen gehen damit ebenso automatisch vor sich. Topausführungen empfangen zudem nicht nur in Europa, sondern auch in den USA, in Japan und China lokal korrekte Zeitsignale.
Kult im Bereich der Quarzuhren sind beispielsweise die G-Shock-Modelle von Casio … günstig und nahezu unverwüstlich! Das aktuelle Modell GW-M5610-1ER sieht noch immer aus wie die G-Shock von 1983, DW-5000. Einen gewissen Hippness-Faktor erreichten vor Kurzem auch Junghans-Funkuhrmodelle mit Digitalanzeige.
Die Welt der mechanischen Uhr
Die mechanische Uhr ist der Gegenpol zu allem, was unsere Epoche ausmacht. So sehr sie auch im Trend liegen mag, ist sie doch eigentlich ein Statement gegen den Trend. Zeitvermittler mit mechanischem Werk sind nur ausreichend präzise. Sie sind aufwendig und damit kostenintensiv in der Herstellung. Sie sind wartungsintensiv. Sie erfordern bei Gestehung und Service extrem viel Handarbeit, was sie nochmals teurer macht. Sie verlangen dem geneigten Kunden ein gewisses Mindestverständnis für Dinge ab, die man an der Uhr einfach nicht sieht. Rudimentäre Kennerschaft ist Voraussetzung dafür, unvernünftig hohe Summen hinzublättern. Und eben all das zusammen ist es, was die mechanische Uhr ausmacht. Da gilt ein Werkzeug als schön, gerade weil es etwas ungenau ist und Toleranzen der Handarbeit als Zier trägt. Da ruft ein Instrument Emotionen hervor, die unvernünftigen Luxus antreiben.
Ein paar generelle Begrifflichkeiten: Bei den Handaufzugsuhren – einfachsten Vertretern mechanischer Uhren – wird die Feder im Uhrwerk mithilfe der Krone “aufgezogen”, also gespannt. Wenn diese Spannung “verbraucht” ist, beginnt das Spiel von Neuem. Eine Automatikuhr hingegen hat eine rotierende Schwungmasse auf das Uhrwerk aufgesetzt, die die Feder des Uhrwerkes durch die Bewegung seines Besitzers aufzieht.
Immer diese Komplikationen …
Was sind Komplikationen? Streng genommen alles, was mehr als nur Stunden, Minuten und Sekunden anzeigt. Eigentlich beginnt es mit der Datumsanzeige, obwohl diese oft nicht zu den Komplikationen gezählt wird. Uhren können – um nur einige weitere Komplikationen zu nennen – zweite Zeitzonen anzeigen, Stoppfunktionen haben, die Mondphase darstellen, mit Minutenrepetition die aktuelle Zeit akustisch vermitteln …
Und weil wir schon beim Thema sind: Mechanische Uhren werden nicht maschinell zusammengebaut. Dafür sind auch heute, in Zeiten der Vollautomatisation, noch Spezialisten unumgänglich. Eben Uhrmacher, die diese komplizierten mechanischen Maschinen verstehen. Das treibt bei manchen Firmen faszinierende Blüten: Bei A. Lange [&] Söhne wird jedes Werk mindestens zwei Mal zusammengebaut. Zunächst kontrolliert man, ob alles ordnungsgemäß funktioniert, danach wird das Werk nochmals auseinandergenommen, veredelt und wieder zusammengebaut. Bei Werken, die durchaus auch einmal aus 800 Teilen bestehen können, eine Aufgabe für Monate!
Für Sammler und Freaks ist oft entscheidend, welche Werke verbaut sind. Dazu muss man wissen, dass die Firma ETA einem Großteil der Produzenten mechanischer Uhren die Basiswerke liefert; sie werden dann zum Teil individuell optimiert und veredelt. Einige wenige Unternehmen stellen allerdings nach wie vor ihre eigenen Werke her und sind bei Sammlern entsprechend begehrt. Dazu zählen etwa Rolex, Jaeger-LeCoultre und A. Lange [&] Söhne. Seit wenigen Jahren gesellen sich ihnen immer mehr Firmen hinzu und entwickeln eigene Werke.
Neu oder Vintage?
Es muss nicht immer ein funkelnagelneues Modell sein. Gerade Luxusuhren – wie etwa von Rolex, Omega, Jaeger-LeCoultre, Audemars Piguet, Breitling, Patek Philippe oder Panerai – können in diversen exklusiven Vintage-Shops auch secondhand bezogen werden. In einem Fall kann man so zu aktuellen Basismodellen edler Marken mit vertretbarem Investitionsaufwand kommen, und im anderen Fall zu einem raren Sammlerstück mit nach oben offener preislicher Richter-Skala.
Never ending Story
Welche Uhren muss man haben? Eine Frage, die – zumindest für mich – keine kurze Antwort zulässt, ohne sich in Oberflächlichkeiten und unzulässigen Vereinfachungen zu ergehen. Da uns Männern Oberflächlichkeiten aber überhaupt nicht liegen, gibt es in der nächsten Ausgabe von COOL DAD eine Fortsetzung. Wie die Rolling Stones zu sagen pflegten: “Time is on my Side”.