Da haben wir uns alle jahrelang brav mit immer höherem Lichtschutzfaktor eingeschmiert … und jetzt das: Ja, unsere Haut haben wir damit gerettet, möglicherweise aber um den Preis eines Vitamin-D-Mangels, sagen neueste Studien. Gibt’s einen Weg aus dem Dilemma? Darüber sind sich die Fachleute noch nicht einig. all4family über den aktuellen Stand der heißen Diskussion.
Keine Lizenz zum Braten
Eines ist nach wie vor unumstritten: dass bei der Entstehung von Hautkrebs die UV-Strahlung der Sonne den wichtigsten Umweltfaktor darstellt. Die Mittagssonne gilt es also weiterhin zu meiden, und auch Sonnenschutz ist weiterhin Pflicht … ganz besonders für die Kleinen! Die Diskussion der Experten dreht sich nunmehr um eine Frage: ob und in welchem Umfang es vielleicht klug wäre, die aktuellen Empfehlungen ein wenig zu lockern, um die Vitamin-D-Versorgung zu sichern. Die einen halten das für vertretbar, da Vitamin D auch anti-kanzerogen wirkt und kleine UVB-Schäden möglicherweise wieder ausgleichen kann. Denn klar ist auch: Besser als über die Haut kann sich der Mensch nicht mit dem Zauberstoff Vitamin D versorgen.
Wie viel steckt in Dotter & Co.?
Dummerweise liefert nämlich die Nahrung kaum genug Vitamin D. Den höchsten Gehalt weisen noch fette Meeresfische auf – die soll man nicht öfter als zweimal wöchentlich essen. Warum? Weil sie infolge der Umweltverschmutzung Schwermetalle enthalten, die in ihrem und dann in unserem Fettgewebe gespeichert werden. Geringe Mengen des Vitamins beschaffen wir uns von Eidotter, Butter, Leber, Pilzen, Avocados und Milchprodukten. Wie aber kommt der Mensch an ausreichend Vitamin D?
Die Sonnenconnection
Zurück zur Haut: In ihr sind Sterole/Sterine eingelagert – fettähnliche Stoffe, die in vielen Lebensmitteln vorkommen. Der Clou: Werden sie vom UVB des Sonnenlichts bestrahlt, entsteht daraus Vitamin D. Da dieses fettlöslich ist, wird es im Fettgewebe gespeichert. Aber: Um diesen Prozess in Gang zu setzen, müssen die Sonnenstrahlen mit einiger Energie auf die Haut treffen, konkret: Der Einstrahlungswinkel sollte nicht unter 35 Grad liegen. Theoretisch liegt die beste Zeit dafür in unseren Breiten zwischen zehn und 14 Uhr in den hellen Monaten; in der Praxis wird man eher den Vormittag wählen. Die solcherart aufgefüllten Speicher retten dann über die dunklen Wintermonate.
So weit das geniale Konzept von Mutter Natur. Flächendeckender Sonnenschutz stört da gewaltig. Und es sind nicht nur die Sonnenschutzmittel allein: Mittlerweile ist jede Tagescreme, die auf sich hält, mit Lichtschutz ausgerüstet. Die mögliche Folge: Vitamin-D-Mangel. Ungünstig, denn Vitamin D ist ein wichtiger Gesundheitsbaustein!
Vitamin D, das Superhormon
Lange Zeit war es nur als „Knochenvitamin“ bekannt, mit dessen Hilfe Kalzium in die Knochen eingebaut wird. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass Vitamin D eher ein Hormon ist und bei vielen Prozessen eine Schlüsselrolle spielt: bei der Immunabwehr ebenso wie bei der Vermeidung von Depressionen in der dunklen Jahreszeit. Vitamin-D-Mangel gilt als Risikofaktor für eine höhere Krebsanfälligkeit, für Osteoporose, Autoimmunerkrankungen, Infektionsanfälligkeit bis hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Bluthochdruck.
Solarien sind übrigens keine Alternative. Sie arbeiten überwiegend mit UVA-Strahlung – für die Vitamin-D Synthese wird aber UVB benötigt.
Vitamin-D-Gaben: Kein Allheilmittel
Was aber ist mit Nahrungsmittelergänzungen? Schon allein bei der Festlegung, wie viel Vitamin D zugeführt werden soll, tun sich die Experten schwer. Die Diskussion ist in vollem Gang. Aktuelle Studien untermauern, dass eine zu geringe Zufuhr nichts bringe – die alten Grenzwerte, heißt es, sollten neu überdacht werden. Umgekehrt gilt es eines unbedingt zu vermeiden: eine überdosis. Vitamin D ist nämlich nicht wasserlöslich. Ein Zuviel wird daher nicht einfach ausgeschieden, sondern lagert sich im Fettgewebe ab. Was primär erwünscht wurde, verkehrt sich somit ins Gegenteil: Statt stärker werden die Knochen nun zu weich. Die virale Abwehr wird geschwächt. Zudem führt ein überhöhter Kalziumspiegel im Blut zu Gefäßablagerungen und schlimmstenfalls zu Nierensteinen. Wie aber kommt das? Und warum passiert das nicht auch bei der Vitamin-D-Bildung durch Sonnenlicht?
Raffinierte Selbstregulation
Der Körper, genauer: die Haut, ist mit Schutzmechanismen ausgestattet, vereinfacht gesagt einer Art Flaschenhalsverfahren. Schließlich muss das durch UVB-Strahlung gebildete Vitamin D abtransportiert werden. Alles, was nicht schnell genug ins Blut gelangt, wird durch weitere Sonneneinstrahlung instabil und damit unwirksam. So ist eine überdosis an Vitamin D mit Sicherheit ausgeschlossen. Vitamin-D-Präparate hingegen schummeln sich um diese natürliche Schranke herum, weil sie über die Nahrung direkt ins Blut gelangen.
Wie viel Vitamin D braucht der Mensch?
In erwähnten Studien wandte man verschiedene Methoden an, um den tatsächlichen Vitamin-D-Bedarf zu eruieren. Eine bestand darin nachzurechnen, wie viel Vitamin D die Haut an einem Sommertag in mittleren Breiten bildet. Das Ergebnis des explizit nicht zur Nachahmung geeigneten Verfahrens: Wer sich an einem Sommertag in Boston so lange in Badekleidung in der Sonne aufhält, bis er einen leichten Sonnenbrand entwickelt, bildet in der Haut 10.000 i. U (internationale Einheiten) Vitamin D. Das berichtet Professor Jörg Reichrath vom Universitätsklinikum des Saarlandes in seiner Metastudie. Er zitiert auch die vorsichtige Schätzung eines weiteren Experten, der es für vertretbar hält, in unseren Breiten rund zwei- bis dreimal wöchentlich Hände, Arme und Gesicht kurzfristig – sprich: rund fünf Minuten bei Hauttyp II – ungeschützt der Sonne auszusetzen. Allgemeingültige neue Empfehlungen sind indes leider noch nicht in Sicht. Mehr Konsens herrscht hingegen bei der Einschätzung, wie hoch der Vitamin-D-Spiegel im Blut sein sollte: nämlich zwischen 30 und 60 Mikrogramm/Milliliter.
Mein persönlicher Vitamin-D-Spiegel
Wie hoch der eigene Vitamin-D-Spiegel im Blut ist, lässt sich leicht per Bluttest feststellen. Zwar wird dieser im Allgemeinen nicht von der Krankenkasse gezahlt, er ist mit rund 30 Euro aber im erschwinglichen Bereich.
Ein großes Umdenken ist also im Gange. Bis die neuen Richtlinien da sind, kann man sich nur einer Sache sicher sein: dass die Sonne zumindest für unsere Psyche auf jeden Fall wunderbar ist … ob mit oder ohne Sonnenschutz.
Autor:in:
Zur Person: Mag. Elisabeth Sorantin hat Sprach- und Literaturwissenschaften studiert und sich vor allem auf die Vermittlung von komplexen Sachverhalten in einer allgemein verständlichen Sprache spezialisiert. Aktuelle Artikel