Irgendeine kluge Frau, ich glaube ich selbst war das, hat einmal gesagt: „Eine Familie, die nicht zumindest einmal am Tag zusammen isst, ist eine Wohngemeinschaft und keine Familie!“
Also halte ich an diesem Ritual des gemeinsamen Abendessens fest, der einzigen Tageszeit, wo unsere großen und kleinen Kinder meistens alle zu Hause sind. Natürlich nehme ich mir ausreichend Zeit für die Vorbereitung einer warmen, ausgewogenen Mahlzeit basierend auf biologischen, regionalen und saisonalen Zutaten. Zwei bis drei Mal die Woche Fleisch, auch einmal heimischen Fisch, viel Gemüse und mäßig Kohlenhydrate.
Während ich also die Speisen auf den Tisch stelle, bereiten sich vier größere und kleinere Verkoster auf die Manöverkritik vor. Das Entree übernimmt praktisch immer mein siebenjähriger Sohn und es lautet mit geringer Variationsvielfalt in etwa so: „Pfui, was ist das? Katzenfutter? Das esse ich bestimmt nicht, ich will ein Butterbrot/eine Banane/Fischstäbchen/auf jeden Fall was anderes!“ An dieser Stelle holt mein Mann tief Luft, um den undankbaren Nachwuchs über Respekt gegenüber der Köchin und der Wichtigkeit ausgewogener Ernährung aufzuklären … vermute ich jedenfalls, den soweit ist er noch nie gekommen. Denn spätestens jetzt hat Sohn Nummer 2, neunzehn Jahre alt, seinen Auftritt: „Mom, du weißt doch, dass ich keine Nudeln esse, und schon gar nicht mit Gemüsesauce. In dem ganzen Essen sind null Proteine. Wofür schufte ich mich im Fitness-Studio ab, wenn du das mit deinem Abendessen alles boykottierst?“ Spricht es und holt sich aus dem Kühlschrank ein mit billigem, pestizidverseuchtem, brasilianischem Soja angereichertes Fitness-Protein-Joghurt. Praktisch isst er nur Hühnchen mit Broccoli und Reis, denn das ist das einzige Rezept, dass diese bodybuildenden Blogger, die schon zum Frühstück zwei Liter Steroid-Eiweiß-Shake runterleeren, empfehlen oder überhaupt kennen.
Meine Stieftochter ist da viel einfacher. Die isst nämlich von vornherein nichts, was ich koche. Schließlich koche ich so abartig eklige Dinge wie Fleisch im eigenen Saft gebraten statt in Wasser gekocht oder auch einmal Spiegelei in ein wenig Butter statt in Sodawasser! Ihre Ernährung besteht im Wesentlichen aus vielseitigen drei Gemüsesorten, Tiefkühlhimbeeren, Haferflocken, Joghurt, massenhaft Süßigkeiten und Eisentabletten. Immerhin kann ich aufgrund ihres exzessiven Paprikakonsums ausschließen, dass sie an Skorbut erkranken wird.
In dem Quartett der Essensnörgler ist meine kleinste Tochter noch ein wahrer Lichtblick. Still und unauffällig seziert sie ihr Essen in mikroskopisch kleine Teile, die sie dynamisch kreuz und quer über den Teller schiebt und so die Assoziation von Nahrungsaufnahme suggeriert. Tatsächlich landen aber höchstens einzelne Moleküle ihr genehmer Nahrungsbestandteile in ihrem Verdauungstrakt.
Meine Rolle als Familienernährerin ist aber nicht ganz frei von Erfolgserlebnissen. So leert mein erwachsener Sohn bei seinen häuslichen Besuchen still, glücklich und vollkommen kritiklos den gesamten Kühlschrank-Inhalt auf einen Sitz, um sich dann satt und zufrieden einen sechsfachen Espresso zu kochen. Natürlich ohne Milch und Zucker, das wäre ja ungesund. Diese Sünde begeht nur seine komplett ahnungslose Mutter.
Apropos ahnungslos: Nach einigen Stoffwechsel-Entgleisungen meines Nachwuchses habe ich neben anabolikagestählten Muskelmännern und plastikbusigen Influencerinnen auch wieder etwas an Einfluss und Ansehen hinsichtlich Ernährung gewonnen. Den Höhepunkt meiner küchentechnischen Laufbahn durfte ich aber vor einigen Wochen erleben, als mein Sohn an einem Sonntagnachmittag das dringende Bedürfnis nach Suppe verspürte. In Ermangelung anderer Zutaten kochte ich also mittels Wurzelgemüse und Maggipulver ein suppenähnliches Gebräu. Die Reaktion meines Sohnes war überwältigend, sein Kompliment trieb mir die Tränen in die Augen: „Mom, du bist wirklich die Meisterin des Suppenwürfels!“
Und wenn sie nicht verhungert sind, dann nörgeln sie noch heute …
Autor:in:
Zur Person: Eva Sorantin ist Chefredakteurin von all4family & NEW MOM, Mutter von vier Kindern und beruflich schon seit über 20 Jahren in der Verlagsbranche im Bereich Familienmedien tätig. Wenn…