Krisenherd Kinderzimmer?
Warum Geschwister streiten und wie Eltern richtig reagieren…
KOMMT EIN NEUES GESCHWISTERKIND?
„Geschwister haben häufig miteinander eine Rechnung offen“, meint Hans- Otto Thomashoff, Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse in Wien. Wenn sich die Familie vergrößert, bedeutet das für die älteren Geschwister vor allem eines: mehr Konkurrenz. Das löst Gefühle aus, die immer wieder an die Oberfläche dringen. Thomashoff, der sich in seinem neuen Buch Erkenntnisse der Hirnforschung zunutze macht, weiß: „Gefühle sind schneller als der Verstand.“ Wut, Ärger, Eifersucht suchen sich Kanäle. Kinder empfinden Lust am Streiten, weil es nichts anderes bedeutet, als sich zu messen, Stärken auszuspielen.
Intuitiv machen Eltern heute vieles richtig. Sie bereiten Kinder behutsam darauf vor, dass Geschwister im Anmarsch sind. Das ist eine gute Basis. Denn Kinder wollen Veränderungen verstehen, auch wenn sie diese noch nicht begreifen können. Die zeitliche Dimension spielt ebenso eine Rolle. „Ein Abstand von zwei bis drei Jahren erlaubt dem ersten Kind den Aufbau einer sicheren Bindung und der Wurzeln einer eigenen Identität„, erklärt Thomashoff.
WAS TUN, WENN KINDER STREITEN?
Was tun, wenn später Aggressionen den Tag dominieren, weil sich die Kinder provozieren, zu selten solidarisieren? „Will sich die Liebe partout nicht einstellen, ist es wichtig zu klären, was los ist.
- Kinder leben oft Spannungen aus, die offen oder uneingestanden zwischen den Eltern bestehen. Diese sollten sich ehrlich fragen, wie es um ihre Beziehung bestellt ist und was sie ihren Kindern vorleben„, erläutert Thomashoff.
- Es müssen aber nicht Schwierigkeiten der Eltern sein, die sich in den Streitigkeiten der Kinder widerspiegeln. Thomashoff nennt die subjektiv empfundene Gerechtigkeit als weiteren zentralen Punkt. Kinder müssen gerecht, nicht gleich behandelt werden, haben ein Gespür für Fairness, unterscheiden sich aber in Alter und Leistung.
Ins Gespräch zu kommen, im Gespräch zu bleiben sind Kriterien für ein Familienleben, das alle zufriedenstellt. Diese Präsenz und diese Gesprächsbereitschaft priorisiert auch Nicola Schmidt, die in ihrem Buch „Geschwister als Team“ Lösungen anbietet. Sie appelliert, Kinder stets mit dem Herzen, in ihrer Bedürftigkeit und Zerbrechlichkeit zu sehen, nie die Türe zum Kinderzimmer zuzumachen, auch wenn das Gezanke unendlich nervt, vor allem aber nie die Türe zu den Gefühlen zu verschließen.
WAS KÖNNEN ELTERN TUN?
Natürlich gibt es auch unrealistische Erwartungen: „Immer Harmonie, das gibt es nicht, Streits kommen in den besten Familien vor“, so Thomashoff. „Und weil Kinder ihre Impulse noch nicht gut beherrschen, geht es oft heftig zu, wenn etwas nicht passt.“ In all dem ist entscheidend, was wir vorleben, nicht, was wir vorbeten.
Drei Fallen enttarnt Nicola Schmidt: Wenn Sie Ihre Kinder
- nicht miteinander vergleichen,
- nicht ausrasten
- und niemals Partei ergreifen,
dann haben Sie schon sehr viel richtig gemacht. Es ist unerheblich, wer angefangen hat, wer angeblich die Schuld trägt: Eltern sind keine Schiedsrichter! Schmidt appelliert, im Gespräch ausschließlich in die Zukunft zu blicken: „Wie können wir verhindern, dass so etwas noch einmal vorkommt?“
Für viele Eltern die Gretchenfrage: einmischen oder abwarten?
„Auf alle Fälle einschreiten“, meint Hans-Otto Thomashoff, „die Streithähne rasch räumlich trennen und, wenn sich der Sturm gelegt hat, gemeinsam Lösungen finden“.
STREITEN LERNEN IN FRIEDLICHEN ZEITEN?
Es braucht Erklärungsarbeit, nicht aber im „Akutfall“. Denn da dominieren die Gefühle, der Verstand macht Pause. „Man muss das Eisen schmieden, solange es kalt ist“, fordert Thomashoff dazu auf, Besprechungen nicht mit erhitzten Köpfen zu führen und in Ruhe immer wieder an die Regeln zu erinnern.
Sich abzustrampeln für die Kinder: Auch das ist eine Falle. Es ist nicht Aufgabe der Eltern, ihren Kindern alles rechtzumachen. Das überfordert Eltern wie Kinder. Sie erleben, dass Elternsein eine Mühsal ist, weil die Großen permanent an ihrem unrealistischen Perfektionismus scheitern.
„Good enough“-Eltern bereiten ihre Kinder auf die reale Welt vor, in der man neben vielen anderen Kompetenzen auch jene des Streitens beherrschen sollte. Sie definieren:
- Regeln,
- verbieten Gefühle nicht,
- aber helfen, einen guten Umgang mit ihnen zu finden.
Gelingt das, können sich alle in der Familie wohlfühlen.
BUCHTIPPS
Geschwister als Team – Ideen für eine starke Familie
von Nicola Schmidt
Kösel 2018
ISBN 978-3-466-311040
Damit aus kleinen Ärschen keine großen werdenWarum Eltern die besten Vorbilder sind
von Hans-Otto Thomashoff
Kösel 2018
ISBN 978-3-466-310937
Jeder Tag ist Ida-Tag
von Antje Damm
Moritz 2019
ISBN 978-3-89565-383-4
Autor:in:
Zur Person Mag.a Mirjam Dauber ist Lehrerin, freie Journalistin und Rezensentin. https://blaetterwald.at/ Aktuelle Artikel